Das Klassik-Prisma |
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Bernd Stremmel Diese Webseite ist urheberrechtlich geschützt. |
1. Klavierkonzert b-Moll op. 23
Auch wenn sich die Uraufführung hinzog, verdankt Tschaikowsky seine Popularität vor allem seinem b-Moll Konzert, beim Beliebtheitsranking seiner Kompositionen steht es nach wie vor ganz oben, warum? Alfred Beaujean bringt es im Kommentar auf der Plattenhülle der Argerich-Kondraschin-Aufnahme auf den Punkt, wenn er schreibt: „Die Bedeutung des vielgespielten Werkes liegt nicht zuletzt in der glücklichen Verbindung von prägnanter „Ohrwurm“-Melodik, symphonischer Gewichtigkeit und glanzvoller Pianistik“.
Die Musik ist sicher ureigendster Tschaikowsky, auch wenn er sich im 1. Satz beim Klaviersatz des 2. Themas (T. 220 ff) stark an Schumann anlehnt, dessen Musik er kannte. Im 3. Satz kommt ihm Wagners Tristan mit seinen scheinbar nicht enden wollenden Steigerungen in den Sinn (T. 222-242). Bei den meisten Aufnahmen hört man da vor allem die Violinen mit ihrem 4-Ton-Motiv, das sich langsam immer höher schraubt. Die Dirigenten vernachlässigen, nein vergessen jedoch die Bratschen, die, einen Takt später einsetzend, dasselbe Motiv im Wechsel mit den Violinen spielen, was eine Sogwirkung nach sich zieht. Nur Karajan-Kissin, Masur, Marriner, Abbado-Pogorelich, Ozawa-BPh, Maazel, Muti, Belohlavec, Vänskä, Yablonsky und Liss entdecken Tschaikowskys Gedanken.
Nochmals zurück zum 1. Satz: nach der erwähnten Schumann-Stelle verdichtet sich die Spannung nahezu explosiv innerhalb weniger Takte und führt die Musik zu einem ersten dramatischen Höhepunkt (T. 242-268). Mit entfesseltem, nahezu besessenem Klavierspiel überzeugen hier Gilels, Horowitz, Cziffra, Argerich, Levant, Cliburn, Bruchollerie, Rösel, Ohlsson, Leonskaja, Pogorelich, Kissin, Say, Hough, Gawrilow, Trifonov und Demidenko. Das Ende dieser Kulmination mündet in Akkorden und Akkordbrechungen des Klaviers von c-Moll nach C-Dur. Das muss jedoch als Zusammenhang gespielt werden und darf nicht in Abschnitte zerfallen. Lediglich Leonskaja, Lateiner, Hough, Berezowsky und Kissin stellen da zufrieden. Im weiteren Verlauf des Satzes, 8 Takte vor der großen Kadenz, schreibt Tschaikowsky einen Signal-Ton des Horns (T. 532), der laut Partitur deutlich markiert sein soll. Dieser dramaturgisch wichtige Ton wird nur von sehr wenigen Dirigenten beachtet: Szell, Solti, Fistoulari, Barbirolli-Ogdon, Maazel, Ozawa, Abbado-Pogorelich und Belohlavec. In der Kadenz beschäftigt sich der Komponist ab T. 581 mit dem 2. Thema, genauer, mit dessem Anfangsmotiv: viermal hintereinander erklingt arpeggiert das Motiv im Wechsel mit unmittelbar aufeinander folgenden Doppeloktav-Triolen, denen die erste Achtel fehlt, in der rechten Hand chromatisch aufsteigend, in der linken fallend, diese Doppeloktaven sollen zusätzlich auch noch accelerando und staccato gespielt werden. Hough bringt die ersten beiden Doppeloktaven abwartend, die letzten beiden dann drängend. Solomon, Cherkassky, Iturbi, Levant, Uninsky, Bruchollerie, Browning, W. Haas, Cziffra, Freire, Berezowsky und Gawrilow überzeugen mich am meisten, indem sie jedesmal ein wenig lauter und teilweise von der einen zur andern das Tempo noch etwas beschleunigen. Svjatoslav Richter steigert dort jedesmal die Intensität seines Spiels.
Im 2. Satz hören wir anfangs zupfende Streicher in Des-Dur (pp), danach setzt die Flöte mit ihrer lieblichen Melodie ein. Falls Sie eine gute Aufnahme besitzen, müssten Sie hören, das die 2. Geigen die Tonfolge f-ges-f-es mehrmals hintereinander spielt und nicht alles gleich klingt. Roshdestvensky übertreibt da ein wenig, wenn es sich so anhört, als spielten nur die 2. Geigen. Der 2. Satz ist dreiteilig angelegt nach dem Formschema A-B-A‘. Der Mittelteil B beginnt T. 59 ohne Pause zum Vorhergehenden im Prestissimo und ist anfangs nur pp zu spielen, dieser Teil entfaltet nur dann seine Wirkung wie vorgesehen, wenn der Pianist auch sofort deutlich ein sehr schnelles Tempo einschlägt wie Horowitz, Solomon, Gilels-49/55, Bruchollerie, Cziffra, Argerich-80/94, Pogorelich und Demidenko und nicht erst ein paar Takte Später das Prestissimo erreicht.
Hier die Aufnahmen:
Richter |
Ancerl |
Tschechische Philharmonie |
Supraphon |
1954 |
32‘50 |
5 |
|
Richter |
Mrawinsky |
Leningrader Philharmonie |
Melodya |
1958 |
33‘40 |
5 |
|
Richter |
Kondraschin |
Moskauer Philharmoniker |
Brilliant |
1968 |
33'51 |
5 |
live |
Gilels |
Reiner |
Chicago Symphony Orchestra |
RCA |
1955 |
33‘33 |
5 |
|
Argerich |
Kondraschin |
Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks |
Philips |
1980 |
30‘33 |
5 |
live |
Argerich |
Abbado |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1994 |
31‘53 |
5 |
live |
Solomon |
Dobrowen |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
1949 |
31‘47 |
5 |
|
Solomon |
Schweiger |
Kansas City Philharmonic Orchestra |
APR |
1952 |
31‘51 |
5 |
live |
Cherkassky |
Ludwig |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1951 |
32‘45 |
5 |
I schwerblütiger Beginn: (molto) maestoso, auch im weiteren Verlauf immer wieder gewichtig, III furioso |
Graffman |
Szell |
Cleveland Orchester |
CBS/Sony |
1969 |
33‘47 |
5 |
Klavier und Orchester gleichberechtigte Partner, Szell öffnet die Partitur, romantische Gefühligkeit sucht man hier vergebens, sehr helles und durchsichtiges Klangbild |
Hough |
Vänskä |
Minnesota Orchestra |
hyperion |
2009 |
31‘42 |
5 |
live – vorbildliches Miteinander, deutliche Handschrift des Pianisten wie des Dirigenten, I Hough beginnt Hauptteil (A. con spirito) wie improvisierend |
Sokolov |
Järvi, Neeme |
Moskauer Philharmoniker |
Melodya |
~ 1968 |
36‘19 |
5 |
I maestoso, der 18-jährige Sokolov und Järvi lassen sich erst gar nicht auf ein Tempo ein, in der sie die getriebenen sind, setzen Schwerpunkte, die zu monumentaler Größe gesteigert werden; an vielen Stellen fühle ich mich, trotz aller Unterschiede des kompositorischen Aufrisses, an Brahms op. 83 erinnert, hier ist Tschaikowsky kein billiger Rattenfänger, sondern ein seriöser Komponist, Gegenentwurf zu sehr vielen gängigen Interpretationsmustern |
Sokolov |
Fedossejew |
Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks |
BR unveröffentlicht |
37‘18 |
5 |
live – in ähnlicher Manier, I T. 32 nicht wesentlich schneller, dafür mit mehr Nachdruck, stellenweise sehr zart, dann aber wieder mit Pranke, III T. 66 unvermutet in Tempo I, überraschend (!) schneller, bei T. 252 deutlich langsamer |
|
Pletnjew |
Fedossejew |
Philharmonia Orchestra London |
Virgin |
1990 |
34‘28 |
5 |
formbewusste Darstellung, I Allegro con spirito als neuer Abschnitt deutlich schneller, III eigene Handschrift |
Pogorelich |
Abbado |
London Symphony Orchestra |
DGG |
1985 |
37‘35 |
5 |
großkalibriges Klavierspiel, Pianist und Dirigent in bester Partnerschaft, Pogorelich versenkt sich tief in Tschaikowskys Gedankenwelt, I trotz des langsamen Tempos keineswegs zäh, große Bögen |
Horowitz |
Szell |
New York Philharmonic Orchestra |
Movimento |
1952 |
30'36 |
5 |
live |
Horowitz |
Toscanini |
NBC Symphony Orchestra |
Naxos |
1941 |
28‘53 |
5 |
live |
Horowitz |
Toscanini |
NBC Symphony Orchestra |
RCA |
1941 |
29‘23 |
5 |
|
Hoffmann |
Stern, Gunnar |
London Philharmonic Orchestra |
Somerset |
P 1970 |
32'52 |
5 |
|
Wild |
Fistoulari |
Royal Philharmonic Orchestra London |
Chesky |
1962 |
33'22 |
5 |
mit Hingabe musiziert, rechtes Maß an Exaltiertheit und Zurücknahme, Fistoulari sehr guter Partner, helles Klangbild, transparent, schöner Klavierton |
Levant |
Ormandy |
Philadelphia Orchestra |
History |
1949 |
30‘49 |
5 |
Klavier und Orchester immer in Partnerschaft, überzeugende Tempi, die den Sätzen jeweils eine fest umrissene Physiognomie geben, altersbedingt eingeengtes Klangbild – Soundtrack eines Musikfilms? |
Ohlsson |
Marriner |
Academy of St.Martin-in-the-Fields (66 Musiker) |
hänssler |
1996 |
34‘14 |
5 |
sehr durchsichtiges Klangbild, voluminöser, körperlicher Klavierklang, Marriner durchleuchtet die Partitur, viele sonst unbeachtete Details, con anima |
Gilels |
Kondraschin |
Staatliches Sinfonie-Orchester der UdSSR |
Brilliant |
1949 |
31‘23 |
4-5 |
live |
Trifonov |
Gergiev |
Marijnski Orchester St. Petersburg |
Marijnsky MCPS |
2011 |
34'12 |
4-5 |
live – I im Orchester Tempo rubato, Rhythmus der Trp T. 95-97 undeutlich – interpretatorisch eher differenziert und nicht als „Schlachtross“ dargestellt, Trifonov bereits hier schon in top-Form, II deutlicher Dialog zwischen Ob und Vc T. 50-57, Pestissimo (Burleske) lässt aufhorchen, III überzeugt am meisten |
Say |
Temirkanov |
St.Petersburger Philharmoniker |
Teldec |
2001 |
33‘11 |
4-5 |
I lebendig, schwungvoll, II Bläser im Mittelteil unterbelichtet, III krönender Abschluss |
Gilels |
Maazel |
New Philharmonia Orchestra London |
EMI |
1972 |
34‘06 |
4-5 |
|
Ogdon |
Barbirolli |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
1962 |
33'20 |
4-5 |
Ogdon und Barbirolli bringen eine klassische Darstellung fern aller Affekthascherei, Liegetöne der Bläser oft zu leise |
Curzon |
Szell |
New Symphony Orchestra |
Decca |
1950 |
33‘01 |
4-5 |
Klavier klingt in schnellen lauten Stellen etwas klobig |
Bruchollerie |
Moralt |
Pro Musica Orchester Wien |
Vox/ Doremi |
1952 |
30‘57 |
4-5 |
zielgerichtetes unverzärteltes Klavierspiel, jedoch nicht gefühllos, unbedingter Einsatz für op. 23; etwas belegter Klang, Klavier vor das Orchester gerückt, dadurch gehen Details verloren; II nur kurzes Intermezzo |
Cherkassky |
Solti |
London Symphony Orchestra |
BBCL |
1968 |
33‘57 |
4-5 |
live – I ähnelt sehr der Studio-Einspielung, II Motive etwas mehr herausgehoben, III Thema im Klavier etwas schwerfällig, nicht mehr so virtuos |
Argerich |
Dutoit |
Royal Philharmonic Orchestra London |
DGG |
1970 |
35‘15 |
4-5 |
|
Rubinstein |
Leinsdorf |
Boston Symphony Orchestra |
RCA |
1963 |
33‘19 |
4-5 |
schönes, plastisches Klavierspiel, temperamentvoll, man spürt, dass es Freunde macht, durchsichtiges Klangbild |
Berezowsky |
Liss |
Philharmonisches Orchester des Ural |
Teldec |
1990 |
32‘11 |
4-5 |
Solist und Orchester in bester Partnerschaft |
Richter |
Karajan |
Wiener Symphoniker |
DGG |
1962 |
36‘07 |
4-5 |
|
Postnikowa |
Roschdestvensky |
Wiener Symphoniker |
Decca |
1982 |
38‘23 |
4-5 |
I maestoso - insgesamt lyrische Darstellung, klangschöne Aufnahme, schöne Holzbläserdetails |
Cziffra |
Dervaux |
Orchestre National Paris |
EMI |
1957 |
32‘11 |
4-5 |
I starke Tempokontraste zwischen den lyrischen und dramatischen Teilen, Cziffra kommt in den Kadenzen voll auf seine Kosten, pianistisches Schaustück, II etwas kühl, III am besten gelungen – dem Klangbild mangelt ein gutes Bassfundament |
Cliburn |
Kondraschin |
RCA Victor-Symphony Orchestra |
RCA |
1958 |
34‘32 |
4-5 |
einst amerikanische Kultaufnahme – Kondraschin langsamer, gezügelter, etwas akademischer, nicht mehr so entfesselt |
Browning |
Ozawa |
London Symphony Orchestra |
RCA |
1966 |
33‘57 |
4-5 |
saftiger Klang |
Ardašev |
Belohlávek |
Tschechische Philharmonie Prag |
Supraphon |
1989 |
32‘36 |
4-5 |
live – wohltuend entfetteter Klavierklang, gute Partnerschaft zwischen Pianist und Orchester, insgesamt eher als klassisches denn als romantisches Klavierkonzert - eine Aufnahme für op. 23-Verächter! |
Hoffmann |
Stein |
Bamberger Symphoniker |
Europa |
1979 |
32'09 |
4-5 |
|
Uninsky |
van Ottterloo |
Residenz Orchester Den Haag |
Philips/ forgotten records |
1951 |
32‘23 |
4-5 |
eher klassisch interpretiert, will nicht überrumpeln |
Wunder |
Ashkenazy |
St. Petersburger Philharmonie |
DGG |
2012 |
32'44 |
4-5 |
live – ziemlich kompetende Darstellung des jungen Pianisten, wenn auch ncht alles gleichermaßen überzeugend gelingt, z. B. Triolen T. 110 ff zu schwerfällig, hell intonierter Flügel, Ashkenazy kompetender Mitstreiter, der die Partitur durchleuchtet! Dynamik im unteren Bereich nicht ausgespielt |
Ponti |
Kapp |
Prager Symphoniker |
Vox/ Marshall |
33‘10 |
4-5 |
eindeutig ein Virtuosenkonzert, graues Klangbild, Farben unterbelichtet, III ausdrucksvolles Holz |
|
Leonskaja |
Masur |
New York Philharmonic Orchestra |
Teldec |
1994 |
34‘15 |
4-5 |
I T. 63/64 Trompeten nicht genau auf den Schlag, insgesamt grundsolide |
Rösel |
Masur |
Gewandhausorchester Leipzig |
Berlin Classics |
1980 |
35‘41 |
4 |
I Einleitung: aufmerksame Pauke, T. 473-480 schwindsüchtige Oboe, T. 29 ff deutliches Bassfundament, III Tutti-Klang zu geschlossen |
Curzon |
Solti |
Wiener Philharmoniker |
Decca |
1958 |
34‘41 |
4 |
I langsame Einleitung, Solti T. 320-347 gar nicht hitzig |
Freire |
Kempe |
Münchner Philharmoniker |
CBS/Sony |
1968 |
32‘10 |
4 |
Freire mit 24 Jahren, Klavierspiel bestens, jedoch mehr technisch als musikalisch bewältigt, II Oboist Kempe vergisst seine Bläser nicht |
Lugansky |
Nagano |
Russisches National Orchester |
PentaTone |
2003 |
37‘01 |
4 |
I Einleitung: langsam, schwerblütig – Blick auf Details wichtiger als große Geste |
Ashkenazy |
Maazel |
London Symphony Orchestra |
Decca |
1963 |
34‘15 |
4 |
I eine Prise Pfeffer hätte gut getan, III gefällt mir am besten |
Berman |
Karajan |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1975 |
37‘13 |
4 |
I Einleitung: gewichtiges Orchester - immer wieder wird der Solist vom Dirigenten gebremst, die schönen Melodien! |
Horowitz |
Barbirolli |
New York Philharmonic Orchestra |
apr |
1940 |
31'12 |
4 |
live |
Volodos |
Ozawa |
Berliner Philharmoniker |
Sony |
2002 |
34‘19 |
4 |
live - I zäh, Inspiration hält sich in Grenzen |
Arrau |
Galliera |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
1960 |
36‘08 |
4 |
I schwerblütig, gewichtig, Holzbläser teilweise verdeckt, II „normaler“, III teilweise etwas gestelzt |
Haas, Werner |
Inbal |
Orchester der Oper Monte-Carlo |
Philips |
1970 |
33‘34 |
4 |
unsentimentales gradliniges Klavierspiel |
Watts |
Bernstein |
New York Philharmonic Orchestra |
CBS |
1973 |
38‘38 |
4 |
I pompöse Einleitung, temporeduziert, danach hat es die folgende Musik schwer, teilweise etwas sentimental (z.B. T 360ff ) und plakativ, II Mittelteil B hebt sich anfangs im Tempo kaum von A ab, III gefällt mir noch am besten – saftiger Klang, etwas Hall |
Gilels |
Mehta |
New York Philharmonic Orchestra |
CBS/Sony |
1979 |
34‘48 |
4 |
live |
Kissin |
Gergiev |
Akademisches Sinfonie-Orchester St.Petersburg |
Brillant |
1987 |
33‘35 |
4 |
live, Kissin 16 Jahre alt – I Einleitung: ganz großer Auftritt alles unter einem großen Bogen, II Klavier etwas äußerlich mechanisch, III forsch, drauflos |
Rudy |
Jansons |
St.Petersburger Philharmoniker |
EMI |
1990 |
36‘33 |
4 |
I maestoso, II Prestissimo etwas zahm, Schluss nicht überzeugend gestaltet, ppp?, III Kompositionsabschnitte wechseln sich ab, werden jedoch nicht gegenüber gestellt |
Malcuszynski |
Malko |
Orchestre National de RTF |
EMI |
1956 |
33'09 |
4 |
Malko sorgt für genügend russische Seele, im Orchestertutti fast nur Hauptstimme, Orchestersprache herb, wenig transparent; Malcuzynski achtet sehr auf eine Differenzierung des Klavierparts, vor allem dann, wenn Motive mehrmals hintereinander wiederholt werden |
Gawrilow |
Muti |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
1979 |
37‘05 |
4 |
Sätze I und II im Tempo zu gemächlich, wenig Tempokontraste, III gefällt am besten |
Demidenko |
Lazarev |
BBC Symphony Orchestra |
hyperion |
1993 |
36‘06 |
4 |
I stellenweise keine Spannung |
Donohoe |
Barschai |
Bournemouth Symphony Orchestra |
EMI |
1988 |
35‘57 |
4 |
leicht entfernter Klang, I etwas lustlos und zäh |
Irturbi |
Orchestre de Concerts Colonne Paris |
EMI forgotten records |
1956 |
34'08 |
3-4 |
Pianist und Dirigent in Personalunion – Dokument aus vergangener Zeit, I plakativ, neigt zum Auftrumpfen, Klavier meist im Vordergrund, Orchester zurück und meist mit wenig Transparenz, nur Begleitung, ein aktives Konzertieren vermisst man, stählerner Klavierton im Akkordspiel, das nervt auf Dauer, T. 110 kaum con spirito, II Prestissimo-Tempo T. 59 ff nicht erreicht, III langsamer als gewöhnlich |
|
Katin |
Pritchard |
London Philharmonic Orchestra |
EMI |
1970 |
35‘24 |
3-4 |
I bewältigt, lässt aber nicht aufhorchen, wenig con spirito, II Mittelteil kein Prestissimo, Beziehung zum Werk? |
Nikolajewa |
Masur |
Gewandhausorchester Leipzig |
Berlin Classics |
1959 |
33‘48 |
3-4 |
I T. 37 nicht ganz klar, stellenweise ungepflegter Streicherklang, grau, Holzbläser gegenüber dem Flügel zurückgesetzt, II Teil A zu schnell, hebt sich nicht vom Prestissimo von Teil B ab, III pauschal, wenig Einzelheiten |
Lateiner |
Aliberti |
Orchester der Wiener Staatsoper |
Westminster/ MCA |
1958 |
32‘39 |
3-4 |
„Schlachtross“, Orchester nicht sonderlich inspiriert |
Ott |
Hengelbrock |
Münchner Philharmoniker |
DGG |
2009 |
34'44 |
3-4 |
technisch makellos, musikalisch jedoch meist ohne Spannung, Hengelbrock nicht sonderlich inspirierend, Pflichtübung? II Übergang von Teil A zum Prestissimo kein Ereignis, III ohne Biss – klanglich kaum optimal gelungen, Balance zwischen Flügel und Orchester (Bläser!) nicht gegeben |
Feltsman |
Rostropovitch |
National Symphony Orchestra |
Sony |
P 1990 |
34‘42 |
3-4 |
I pflichtgemäß, etwas unentschlossen und lustlos, III mit mehr Profil, kann die Aufnahme jedoch nicht mehr retten |
Bolet |
Dutoit |
Orchestre Symphonique de Montreal |
Decca |
1987 |
40‘07 |
3-4 |
I geradezu eine Gegenposition zu den meisten anderen Interpretationen, lyrische Abschnitte wichtiger, schleppendes Tempo, II schleppend, melancholisch, III Bolet spielt das Hauptthema so uninteressant, als müsse er sich davor schämen – voluminöse Klavierbässe |
Kissin |
Karajan |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1988 |
39‘57 |
3-4 |
live – I Karajan bremst Kissin und Tschaikowsky aus, T. 220 ff hört man endlich auch mal die Flöte, II Laufsteg für Bläsersolisten, III besser im Tempo |
Scherbakow |
Yablonsky |
Russisches Philharmonisches Orchester |
Naxos |
2003 |
32‘11 |
3-4 |
I T. 194 ff innig, Horn T. 313-15/ T. 317-20 geht unter, T. 390 ff seltsam gestelzt, Kadenz T. 543 ff Zweistimmigkeit der rechten Hand?, ohne Regiebuch aufgenommen?, III Pralltriller im Thema wird überspielt, Thema T. 89 ff schneller als zu Beginn, auch T. 159 ff, disparat – obertonarmer Klang, im Tutti dumpf |
Weissenberg |
Karajan |
Orchestre de Paris |
EMI |
1970 |
39‘36 |
3 |
I zähe Einleitung, blechgepanzert, Weissenberg macht sich T. 110 con spirito auf den Weg, trifft jedoch T. 186 auf ein Stop-Schild, T. 390 ff sentimental, kitschig, sind sie schon in der Pathetique?, II Adagio, gefrorene Musik, außer im Prestissimo, III Holzbläser zurückgesetzt – Weissenberg hätte gewiss auch anders gekonnt! |
Sgouros |
Weller |
London Philharmonic Orchestra |
EMI |
1986 |
33‘40 |
3 |
I Streicher-Pizzicato T. 170 ff und T. 453 ff?, an einigen Stellen gehen die Gäule durch, Orchester sehr oft nur in Begleitfunktion, II nebeneinander nicht miteinander, Klavier oft zu laut und zu unbekümmert, III wie zuvor |
Lang Lang |
Barenboim |
Chicago Symphony Orchestra |
DGG |
2003 |
38‘25 |
2-3 |
I quälend lahm im Tempo, Musik steht oft still, Pianist kann nur in den Kadenzen aus sich heraus gehen, Mätzchen in der ersten Kadenz T. 43/47, II Andantino? dramaturgische Pause vor dem Prestissimo? – insgesamt ohne Inspiration! |
Hinweise zu Interpreten und ihren Interpretationen:
Vom Supervirtuosen Wladimir Horowitz sind mehrere Aufnahmen überliefert, davon zwei mit seinem (späteren) Schwiegervater Aruro Toscanini am Pult, beide aus dem Jahre 1941. Die frühere live-Aufnahme wird wie in Rekordzeit gespielt, man meint, die Interpreten hätten unter Strom gestanden. Das Prestissimo in Satz 2 klingt beinahe wie eine Zirkusnummer, wild entfesselt wird das Finale angegangen. Die Studioeinspielung zwei Wochen später kommt ein wenig domestizierter aus den Lautsprechern. Bei der ersten Aufnahme ein Jahr zuvor stand John Barbirolli am Pult der New Yorker Philharmoniker. Barbirolli verfügt nicht über die Glut Toscaninis, entsprechend langsamer und milder klingt hier die Musik. Das Orchester ist ziemlich kompakt aufgenommen, das Klavier agiert meist im Vordergrund. Die Ohrwürmer in den Ecksätzen werden ziemlich plakativ vorgetragen, so macht es nichts, wenn der Flügel von den Instrumenten hier und da zugedeckt wird, z. B. T. 75-79. Im Finalsatz fehlen nach T. 58 vier Takte. Ein ständiges Rauschen der alten Acetat-Platten stört zusätzlich.
Die zweifellos beste Aufnahme mit Horowitz entstand in Zusammenarbeit mit George Szell. Hier erlebt man ein organisches und gleichzeitig auch stringendes, kein geschmäcklerisches und effektheischendes Musizieren. Szell macht das Innenleben der Partitur hörbar. Auch klanglich ist dieser Mitschnitt allen anderen Aufnahmen vorzuziehen.
Der britische Pianist Solomon Cutner, der sich nur nach seinem Vornamen Solomon nannte, durfte bereits 1929 mit 27 Jahren als einer der ersten das b-Moll Konzert aufnehmen, Partner waren das Hallé Orchestra unter Leitung von Hamilton Harty, die Schelllackplatten sollen ein großer Erfolg gewesen sein. 20 Jahre später durfte der gereifte Pianist unter besseren Aufnahmebedingungen nochmals mit dem Konzert ins Studio gehen, nun dirigierte Issay Dobrowen das noch junge Philharmonia Orchestra. Der 1.Satz gelang sehr konzentriert, straff, kraftvoll, jedoch auch leidenschaftlich ohne romantischen Überschwang, also mehr klassisch. Im 2. Satz spielt die Flöte ohne Vibrato, da klingt die Melodie T. 5 ff völlig entmaterialisiert. Dobrowen ist ein aufmerksamer Mitgestalter, der auch den Blick auf Details schärft. Eine weitere Spitzenaufnahme mit Solomon stammt aus einem Konzert aus Kansas City mit dem dortigen Orchester unter Leitung des bei uns unbekannten Hans Schweiger aus dem Jahr 1952. Die live-Aufnahme klingt leidenschaftlicher als die Studio-Produktion, jedoch nicht immer so deutlich, Diskanttöne klirren zuweilen.
Clifford Curzon, den wir später Geborenen eher mit Musik von Schubert, Schumann, Beethoven und Mozartschen Klavierkonzerten in Verbindung bringen, hat zeitlebens auch die großen „Schlachtrösser“ der Konzertliteratur gespielt, die Konzerte von Brahms, Rachmaninoff und eben auch Tschaikowskys b-Moll-Konzert. Curzons Stärken liegen m.E. eher im lyrischen Bereich des Konzerts, was nicht heißen soll, die kraftvoll auftrumpfenden Partien erklängen unter seinen Händen blass. Der englische Meisterpianist ist ein ernst zu nehmender Interpret dieses berühmten Konzerts. Zwei Aufnahmen liegen mir vor, einmal mit einem Londoner ad hoc-Orchester unter Leitung von George Szell 1950, dann 8 Jahre später mit den Wiener Philharmonikern unter Georg Solti. Schon bei der Einleitung kann man die Qualitätsunterschiede der beiden Dirigenten feststellen: Szell, deutlich um jedes Instrumentationsdetail bemüht, Solti zwar auch, jedoch mit weniger Konsequenz und Nachdruck (1. Satz: T. 80-87, Pizzicato der 2. Viol. und Bratschen, 2. Satz: Pizzicato besonders der 2. Viol. in den Anfangstakten, Bläserstelle T. 33-37). Sie merken schon, Szell gefällt mir trotz des älteren Aufnahmedatums besser als die jüngere Produktion mit Solti. Szell ist nicht Anwalt einer Tradition, sondern des vom Komponisten in der Partitur niedergelegten Willens, er vermag immer dem jeweiligen Musikstück eine fest umrissene Physiognomie zu geben, was gerade Kompositionen der Romantik zu Gute kommt. Trotzdem möchte ich Szells Aufnahme eher klassisch nennen, die mit Solti mehr romantisch. Noch eine Anmerkung zum Hauptthema des 3. Satzes: Curzon spielt in der Solti-Aufnahme den zig-mal wiederkehrenden Doppelpralltriller im Hauptthema etwas deutlicher als jeder andere Pianist, indem er die davor stehenden Achtelakkorde ein klein wenig verkürzt, das fällt sofort auf, später bei veränderten Akkorden geht es jedoch nicht mehr so.
Svjatoslav Richter und Tschaikowskys 1. Klavierkonzert wurden in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts oft in einem Atemzug genannt. Damals durfte Richter im Westen konzertieren und Platten für EMI und DGG aufnehmen, u. a. die Aufnahme von op. 23 mit den Wiener Symphonikern unter Leitung von Herbert von Karajan. Es war jedoch nicht seine erste Aufnahme, nein, seine vorletzte. Bereits 1954 ging er für Supraphon mit Karel Ancerl und der Tschechischen Philharmonie ins Prager Studio, m. E. seine, trotz der klanglichen Mängel, überzeugendste Produktion. Im 1. Satz nimmt er Tschaikowskys Satzüberschrift ab T. 110 wörtlich: con spirito, in den Takten 242 ff sind wir Zeuge eines urwüchsigen, temperamentvollen Musizierens, das unter eine mächtigen Spannung steht und am Schluss T. 268 wie befreit klingt, großbögiges Musizieren ist hier kein Fremdwort. 2. Satz: Rhythmus ist das Rückgrad der Musik, schöner Dialog zwischen Oboe und Cello T. 50 ff. Das Klangbild der Aufnahme ist ziemlich offen, durchsichtig, jedoch zeitbedingt flächig. Ein Jahr später wurde Richter von Jewgenij Mrawinsky und der Leningrader Philharmonie in einer russischen Produktion (Melodya) begleitet, die Aufnahme wurde später zumindest auch in Westdeutschland (Eurodisc), Ostdeutschland (Eterna) und Frankreich (HMF) vertrieben. Diese Platte weist ein etwas volleres Klangbild auf als die Aufnahme aus Prag, die Takte 242–263 gelingen gut, jedoch nicht ganz so zwingend wie bei Ancerl, der Dialog zwischen Oboe und Cello T. 50 ff überzeugt auch hier. Klanglich noch besser ist ein Mitschnitt mit Kondraschin und seinem Moskauer Orchester gelungen, der erst vor wenigen Jahren hier bekannt wurde. Das b-Moll-Konzert wird weniger als musikalisches Schlachtross, mehr als ein seriöses Konzert dargeboten, Richter spielt immer sehr deutlich. Klanglich noch besser ist ein Mitschnitt mit Kondraschin und seinem Moskauer Orchester gelungen, der erst vor wenigen Jahren hier bekannt wurde. Die schon oben erwähnte DGG-Aufnahme unter Leitung Karajans zeigt uns jedoch eine andere Auffassung des Konzerts: hier wird teilweise schleppend (z. B. 1. Satz T. 294 ff) oder pompös auftrumpfend (1. Satz T. 330 ff) musiziert, insgesamt dauert dieser Satz 2 Minuten länger als bei Ancerl und Mrawinsky. Hier liegt eine klangschöne Aufnahme vor, deren Interpreten sich eher für die lyrischen als für die dramatischen Stellen des Werkes interessieren, dies scheint mir jedoch nur die halbe Wahrheit bei op. 23 zu sein. Bei Ancerl, Mrawinsky und Kondraschin klingt Tschaikowskys Musik urwüchsiger, slawischer.
Zeit seines Lebens hat Emil Gilels immer wieder Klaviermusik seines Landsmannes Peter Tschaikowsky aufgeführt, insbesondere auch das 1. Klavierkonzert in b-Moll, von dem hier vier Aufnahmen verglichen werden, wovon die erste und letzte Konzertmitschnitte aus dem Jahre 1949 bzw. 1979 sind. Der 33jährige Pianist stürzte sich mit Verve und hohem Krafteinsatz in Tschaikowskys op.23, die Akkorde werden wild herausgeschleudert (T. 253 ff, T. 348 ff), die große Geste feiert Triumphe, da ist sich Gilels mit Kondraschin völlig einig, der 1.Satz wird nach sagenhaften 18’49 beendet. Der Mittelteil des 2. Satzes, das Prestissimo, kommt geradezu hysterisch daher, übrigens auch in der Aufnahme mit Reiner, insgesamt ist der Satz hier ein leichtgewichtiges, unbeschwertes Intermezzo. Im 3. Satz gibt es nun wieder viel Klavierfutter fürs Publikum, die zur Schau gestellte Virtuosität siegt über die Musik. Das Klangbild in dieser alten russischen Aufnahme ist flächig, wenig differenziert und teilweise auch verfärbt. Gilels erste Studio-Aufnahme entstand während seiner USA-Tournee 1955 mit Fritz Reiner bereits in frühem Stereo. Hier erleben wir eine gewandelte Auffassung vom Tschaikowskys Ohrwurm: Disziplin geht vor Emotion, es wird strenger und gewichtiger gespielt, insgesamt klingt die Musik stellenweise seriöser, auch raffinierter. Gilels ordnet sich Reiners Konzept unter, ohne dass der virtuose Klaviersatz gezähmt klingt. Für mich ist dies eine der überzeugendsten Produktionen des Konzerts. 17 Jahre nach dieser Aufnahme ging Gilels mit Lorin Maazel ins Londoner Studio. Im direkten Vergleich fallen sofort die inzwischen enorm verbesserten klanglichen Verhältnisse auf, bei Maazel steht ein opulenter Orchesterglanz im Vordergrund, dabei durchleuchtet er gleichzeitig die Partitur, der Klang ist sehr hell eingefangen. Das Prestissimo im 2. Satz ist leider nur ein Presto, am besten gefällt mir das Finale. Der New Yorker Konzertmitschnitt vom November 1979 fällt gegenüber den anderen Gilels-Produktionen klar ab, das liegt weniger am Pianisten, der auch hier noch seine Pranken zeigen kann, ohne dass die musikalische Ausdeutung darunter zu leiden hätte, sondern eher an der schwachen Orchesterleistung unter Leitung von Zubin Mehta. Gleich zu Beginn setzen die Streicher zu undiszipliniert ein, das Orchester klingt stellenweise so, als produziere es Filmmusik, dabei wird das Klavier klanglich etwas nach hinten gerückt, auch hier gefällt das Finale am meisten, Applaus in die Schlusstakte hinein, wie bei Horowitz!
Ein starker Anwalt von Tschaikowskys op. 23 war der deutsche Pianist Ludwig Hoffmann, dem jedoch nicht die Anerkennung im Musikleben widerfuhr, die ihm von seinen Leistungen eigentlich gebührte, auch in seinem Heimatland nicht. Zwei Aufnahmen hat er vom 1. Tschaikowsky-Konzert hinterlassen, leider nicht bei einem der größeren Plattenlabels, die sich scheinbar nicht für ihn interessierten, sondern bei Somerset bzw. bei Europa, beides Billigpreis-Labels, deren LPs meist auf den Wühltischen der Warenhäuser gehandelt wurden und so nicht das seriöse interessierte Publikum erreichte, ein Jammer! Bei der älteren Aufnahme steht ein wenig bekannter Gunnar Stern am Pult des London Philharmonic Orchestra, der aber seine Rolle viel überzeugender wahrnimmt als Horst Stein in der späteren Aufnahme. Hoffmann gestaltete den Allegro con spirito-Abschnitt im 1. Satz T. 110 ff sehr lebendig und brillant, insgesamt überzeugt die Tempowahl sehr. Das athletische Klavierspiel besticht immer wieder, er scheint sich für op. 23 zu verbrennen. Immer wieder ist man von der Intensität des Zusammenspiels von Pianist und Orchester erfreut. Im Finale allerdings sind die Tutti-Abschnitte bei T. 37-44 und 114-121 knallig und zu kompakt geraten, was auch der Aufnahmetechnik zugeschrieben werden kann. Auch auf der zweiten Aufnahme mit Horst Stein und den Bamberger Symphonikern bei Europa kann man Hoffmanns Klavierkunst bewundern, insgesamt jedoch erreicht sie nicht das Niveau der Vorgängeraufnahme. Das liegt weniger am Pianisten als an der Begleitung. Die Musik wird nicht so engagiert gespielt, etwas milder, manches nur brav. Das Klangbild ist weniger offen und weniger präsent als früher. Am besten gelingt noch der 2. Satz mit einem duftigen Spiel.
Sprechen Musikfreunde über op.23 fällt immer auch der Name Martha Argerich. 1970 hat sie es in London mit Charles Dutoit kraftvoll, differenziert, diszipliniert, sehr überzeugend eingespielt. Diese Aufnahme wurde jedoch zehn Jahre später durch einen Konzertmitschnitt aus München unter der Leitung von Kondraschin entthront, der durch seine Leidenschaft, seinen Sog, seinen unbedingten Ausdruckswillen, seinen mitreißenden Schwung den Hörer in seinen Bann zieht. Der spätere Mitschnitt aus der Berliner Philharmonie kommt da nicht ganz mit, ist aber ebenfalls überzeugend.
In den Aufnahmen der letzten 25 Jahre sind die interpretatorischen Unterschiede eher marginal, alle wollen Tschaikowskys Konzert technisch wie musikalisch perfekt anbieten, das Individuelle bleibt jedoch ziemlich auf der Strecke, von ganz wenigen Pianisten abgesehen. Vor einer Neuanschaffung sollte der Sammler/Käufer genau prüfen, ob er nicht alten Wein in neuen Schläuchen angeboten bekommt.
eingestellt am 09. 01. 11
ergänzt am 17. 10. 15