Das Klassik-Prisma |
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Bernd
Stremmel |
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4 Impromptus für Klavier D. 935
Allegro moderato – Allegretto – Andante,
Tema con variazioni –
Allegro scherzando
Impromptu kommt aus dem Französischen und bedeutet Einfall, Improvisation, aus dem Stegreif. Der Musik liegt also kein festgefügtes Formschema zugrunde, Schuberts Kompositionskunst verleiht jedoch jedem Stück seine besondere Physiognomie. Trotz ihrer Beliebtheit sind die Impromptus keine leichten Klavierstücke für den häuslichen Gebrauch, sondern Charakterstücke mit hohem Schwierigkeitsgrad. Vermutlich haben sich hier Schumann und Brahms, vielleicht auch Chopin Anregungen geholt.
Das 1. Stück in f-Moll beginnt mit einer Einleitung, die wie eine Improvisation klingt. Der Klavierspieler präludiert einige Takte, dann folgen drei im Ausdruck unterschiedliche Abschnitte. Aufmerksame Pianisten hören in Teil A das Murmeln eines Baches, Teil B ist sehr gesangsvoll, Teil C ein ausdrucksvoller Dialog zwischen Diskant und Bass, alles mit der linken Hand zu spielen, während die rechte mit fortlaufenden Akkordbrechungen in Sechzehnteln das harmonische Gerüst beisteuert. Viele Pianisten wiederholen hier die T. 98-123 (Arrau, Kuerti, Leonskaja, Schiff, Brendel-74, Pires, Lubimov, Anievas, O’Conor, Zimerman, Knauer, Orkis, Planès, Oppitz, Haefliger und Lewis). Nun bringt Schubert die Einleitung sowie die drei Abschnitte noch einmal, führt sie jedoch durch andere Tonarten.
Das 2. Impromptu steht in As-Dur und hat den geringsten Schwierigkeitsgrad, man begegnet ihm deshalb auch beim häuslichen Musizieren. Das Trio steht anfangs in Des-Dur, wechselt dann zur nicht nur bei Schubert seltenen Tonart des-Moll, kehrt jedoch bald zur Grundtonart zurück. Das Thema des 3. Stücks (B-Dur) ist verwandt mit der Ballettmusik aus „Rosamunde", man begegnet ihm auch im 2. Satz des Streichquartetts in a-Moll D. 804. Fünf Variationen in unterschiedlicher Ausführung schließen sich an: kapriziös, keck, empfindsam und auch virtuos. An den Schluss setzt Schubert ein Allegro scherzando in f-Moll. Das Anfangsmotiv erinnert mich an das dritte der Moments musicaux D. 760. Die Musik ist ausgelassen, virtuos, aber auch nach innen strahlend, Schubert schreibt dort con delicatezza, nur wenigen gelingt dies so: Kempff, Pires, Holtmann und Viviane Sofronitzky.
Zimerman |
DGG |
1990 |
36‘15 |
5 |
bis zur letzten Note ausgeformt, I sehr ausgewogen, immer nach vorn geschaut, II geschmeidig, geringer Pedaleinsatz, bei f / ff nur soviel wie nötig, III rechte und linke Hand immer im Gleichgewicht, schöner Übergang von V. 3 nach V. 4, IV con spirito, nuancenreich, virtuos – schöner runder Klavierklang |
Lupu |
Decca |
1982 |
36‘11 |
5 |
I geschmeidig, immer belebt, Atmosphäre, Sprung von T. 82 zu T. 98, II ruhig und ausdrucksvoll, III ruhig, überlegen, differenziert, IV etwas zurückhaltend, nachdenklich |
Curzon |
Decca |
1952 |
33‘38 |
5 |
I beredtes Musizieren, Murmeln in A, II Musik spricht für sich, III natürlich, ungekünstelt, poesievoll, IV pointiert |
Kempff |
DGG |
1965 |
29‘30 |
5 |
I E wie improvisiert, persönliche Handschrift, Fantasie, II richtige Lautstärkeverhältnisse, III von innen leuchtend, IV neu gehört |
Pires |
DGG |
1997 |
39‘59 |
5 |
I überwiegend innig, beseelt, II Trio etwas schneller, III P. lässt sich viel Zeit, Atmosphäre, IV vielschichtig – schöner Klavierklang |
Schnabel |
EMI Arabesque |
1950 |
32‘50 |
5 |
I immer lebendig und abwechslungsreich, große Bögen, III immer belebt, Variationen in ihrer Besonderheit erfasst und dargestellt, IV sinnerfassendes Klavierspiel |
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Fischer, Edwin |
EMI Testament |
1938 |
28‘07 |
4-5 |
I Murmeln in A, mit bestechender Musikalität, sehr belebt, Sprung von T. 82 zu T. 98, II hochdramatisches Trio, III tief in Schuberts Gedankenwelt eingedrungen, fließend, IV weniger geschmeidig, einige minimale Rubati - dynamische Differenzierung im unteren Bereich nicht immer hinreichend |
Knauer |
Berlin Classics |
2006 |
39‘39 |
4-5 |
Knauer hat eine Vorstellung vom Werk und setzt sie erfolgreich um, atmosphärisch dichtes Spiel, nuancenreich, mit viel Fantasie - Klavierklang erinnert etwas an Arrau |
Kuerti |
Analekta |
1984 |
36‘48 |
4-5 |
I K. betrachtet die Musik von allen Seiten, jeder Abschnitt eine andere Welt, II ruhig, nachdenklich, dramatisches Trio, III u. IV Darstellung leidet etwas an dem trocken klingenden Flügel, rhythmische Energie nutzend, stellenweise etwas widerborstig |
Holtmann |
ambitus |
~ 1999 |
34‘49 |
4-5 |
I E wie improvisiert, HT einfühlsam, differenziert, II Atmosphäre, III einfühlsam, mit Fantasie, IV Scherzando |
Perahia |
CBS Sony |
1982 |
34‘02 |
4-5 |
I weich, fließend, belebt, wunderbar formulierter Dialog in C, II ungekünstelt, in Bögen, III V. 2 nicht so geschmeidig, hat nicht die Leuchtkraft von Fischer und Zimerman, IV interessierte P. mehr die technische als die musikalisch Seite? – runder, ausgewogener Klavierklang |
Schiff |
Decca |
1988 |
34‘45 |
4-5 |
I etwas nüchtern und etwas unruhig, immer glasklar, dramatische und lyrische Abschnitte in gutem Einklang, II zu viel Pedal im Trio, III meist differenziert, nuancenreich, Atmosphäre, IV immer aufmerksam – in allen Sätzen wird Schiff bei Cresc. etwas schneller |
Haefliger |
Sony |
1992 |
34‘48 |
4-5 |
I die einzelnen Abschnitte gut charakterisiert, II Trio gut gegen Allegretto abgesetzt, III geschmeidig, locker, elegant, IV rhythmische Energie zu pointiertem Spiel nutzend – immer locker, hell intonierter Flügel |
Lewis |
HMF |
2011/12 |
34‘33 |
4-5 |
I Spannung-Entspannung, II Trio schneller, zugespitzt, III Lewis gibt jeder Variation ihr eigenes Gesicht, IV stellt leider Virtuosität zu sehr heraus, äußerlich, motorisch |
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Serkin, Rudolf |
CBS Sony |
P 1963 |
37‘48 |
4 |
I gelassen, jedoch die Tiefen der Musik auslotend, II natürlich, schlicht, III und IV alles etwas herb, weniger Farben |
Leonskaja |
Teldec |
1996 |
39‘45 |
4 |
I insgesamt geradlinig bei geringerer Atmosphäre, II starke dynamische Kontraste, T. Achteltriolen der r. Hd. nicht immer egal, III zu nüchtern, schlicht, etwas hölzern, IV nicht so locker, weniger geschmeidig |
Planès |
HMF |
1997 |
35‘08 |
4 |
I einerseits Passagen voller Spannung, andererseits aber auch solche, die etwas hölzern klingen, III belebt, hell, aufgelockert, IV abwechslungsreich, Scherzando |
Oppitz |
hänssler |
2007 |
37‘25 |
4 |
O. Interpretation hat zwei Gesichter, wobei Stück 1 und 2 nicht so überzeugen, dafür die Stücke 3 und 4 um so mehr, I zu viel Pedal, die Sechzehntel in Teil A und C verschwimmen zu einem Klangbrei, II lastend, schwerblütig, IV mit viel Spielfreude |
Brendel |
Philips |
1974 |
34‘15 |
4 |
I E sehr gewichtig, insgesamt weniger einfühlsam, II dramatisches Trio, III etwas pauschal, dynamische Differenzierung nicht ausgereizt, IV schnell, überzeugt am meisten |
O’Conor |
Telarc |
1993 |
36‘52 |
4 |
I natürliches Fließen, II darstellerische Konzentration, III und IV Interpret stellt sich ganz hinter die Musik, solide |
Dalberto |
Denon Brilliant |
1991 |
36‘50 |
4 |
I „bedeutende" Übergänge zwischen den Abschnitten, geschmäcklerisch, III V. 2 kapriziös – insgesamt solide |
Buchbinder |
Teldec |
P 1979 |
36‘02 |
4 |
B musiziert im Augenblick, kaum darüber hinaus, zupackend, mehr die äußere Schale als den inneren Kern, Einheitsdynamik außer bei cresc. und dim. |
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Brendel |
Vox Brilliant |
1962 |
30‘10 |
3-4 |
I innige Beziehung zu Schubert?, II dramatisches Trio, III schneller als 1974, etwas pauschal, IV mehr motorisch – dumpfes Hintergrundgeräusch vom Anfang bis zum Ende, vermutlich rechtes Pedal |
Demus |
DGG Pianoforte |
~ 1963 |
33‘14 |
3-4 |
insgesamt etwas pauschal, bemüht, Sechzehntelpassagen oft hölzern |
Anievas |
EMI |
1976 |
36‘18 |
3-4 |
I Poesie außer bei C auf Sparflamme, mehr Allegro als Moderato, II angemessen, schlicht, Trio zu motorisch, III hier Anievas mehr auf Schuberts Spuren, IV einige Momente, die aufhorchen lassen |
Ciccolini |
EMI |
1972 |
33‘21 |
3-4 |
I Sechzehntel etwas gehudelt, möglichst schnell durch den Satz, I dramatisches Trio, III flüssig, auch sportlich, motorisch, etwas übertriebene f-Stellen, IV aufgekratzt |
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Barenboim |
Erato |
1972 |
34‘54 |
3 |
live – I B T. 57-63 r. Hd. verselbstständigt sich, grob, schnodderig, II Trio Achteltriolen oft ungleichmäßig, III Barenboim neigt in allen Variationen zum Dramatisieren, alles sehr pauschal, IV pauschal, konzeptlos – dynamische Differenzierung wenig ausgeprägt |
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Schuchter |
Tudor |
P 1988 |
33‘57 |
2-3 |
I kaum Zusammenhänge, B langsamer, trotzdem weniger geschmeidig, mehr Töne/Akkorde als Musik, dynamische Differenzierung im unteren Bereich wenig ausgeprägt, II langsames Allegretto, Achteltriolen wenig geschmeidig, III Th. ein separates Stück, aber nicht der Anfang eines Variationssatzes, Musik teilweise zu langsam, zum Einschlafen, ohne Esprit, IV Sechzehntelläufe ohne Ausdruckskraft, schülerhaft |
Arrau |
Philips |
1991 |
43‘40 |
2-3 |
diese Aufnahme kam für Arrau zu spät und ist kein Gewinn für die Diskographie sowohl von Schubert als auch von Arrau, die Musik klingt meist bemüht, anfangs auch gefingert, die Tempi sind langsam, die Musik zerfällt |
Interpretationen auf einem
Hammerflügel:
Lubimov |
ZigZag |
2009 |
36‘28 |
5 |
L. gibt sich Schuberts Notenvorlage mit dem Herzen hin, facettenreich, dynamische Differenzierung im unteren Bereich nicht immer hinreichend |
Sofronitzky, Viviane |
CAvi |
2010 |
32‘39 |
5 |
I schlägt große Bögen und erfüllt sie mit Spannung, etwas unruhig, fiebernd, II schnell, aber innig, Trio etwas mehr zugespitzt, III mit Fantasie, jede Var. auf ihr Pontential abgeklopft, IV facettenreich |
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Orkis |
Virgin |
1989 |
37‘27 |
4-5 |
I gespanntes Musizieren, II etwas gewichtig, Trio schneller, III lässt sich auf die verschiedenen Variationen ein, IV inspiriert |
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Tan |
Virgin |
1987 |
31‘34 |
4 |
I kein Moderato, vorwärtsdrängend, II schneller als gewöhnlich, III hurtig, eher eine Draufsicht als ein Blick ins Innere, IV spieldosenhaft |
Die unterschiedlichen Laufzeiten der vier Klavierstücke beruhen nicht nur auf den gewählten Tempi, mit der sie vorgetragen werden, sondern auch in der Beachtung der Wiederholungen in den Sätzen. Edwin Fischer lässt alle Wiederholungen aus, möglicherweise auf Grund der Laufzeit einer Schellackplatte. Im 2. Impromptu verzichten Kempff, Schuchter und Brendel auf die Whlg. im Allegretto und auf die 2. Whlg. beim Trio. Diese lassen auch Curzon, Kuerti und Demus aus. Kempff lässt im 3. alle Wiederholungen aus, ausgenommen die erste beim Thema. Auf die kurze Wiederholung im Finale verzichten Brendel-62 und Lupu.
Viele der einzelnen Impromptus hört man auch separat außerhalb des Zyklus‘, im Rahmen dieser Untersuchung kann jedoch nicht darauf eingegangen werden.
eingestellt am 08. 02.
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