Das Klassik-Prisma


  Bernd Stremmel

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1. Sinfonie D-Dur



Für die heutigen Musikhörer ist die D-Dur-Sinfonie in der numerischen Reihenfolge die erste Sinfonie von Mahler. Dieser war sich nach Vollendung des Werkes noch nicht im Klaren, wie er seine Schöpfung nennen sollte. Bei der Budapester Uraufführung 1889 hieß das Stück noch „Sinfonische Dichtung in zwei Teilen“ (insgesamt 5 Sätze). Anlässlich einer Hamburger Aufführung1893 unterzog Mahler seine Partitur einer Revision und verzichtete auf den Titel Sinfonische Dichtung. Beim Berliner Debut 1896 entfernte er dann auch noch den ursprünglichen 2. Satz, den sogenannten Blumine-Satz, und nannte sein Werk nun Symphonie.

Mahlers Erstling wirkte auf die Hörer befremdend und hier und da blieb auch Spott nicht aus. Vor allem das Nachahmen von Tierstimmen sowie der bekannte Kanon „Bruder Jakob“ in Moll als Trauermarsch erregten Unmut. Auch die Länge von 50 Minuten war für eine Sinfonie die unbedingte Ausnahme. Bruckners noch längere Werke fielen als Vergleich aus, da sie dem Publikum damals kaum bekannt waren. Die Musiker und auch die Zuhörer/-schauer werden auch von der übergroßen Instrumentation überrascht gewesen sein. Flöten und Oboen sind vierfach besetzt unter Einschluss von Piccoloflöte und Englischhorn, die Fagotte dreifach, wobei ein Spieler auch zum Kontrafagott greift. Bei den Klarinetten fällt auf, dass hier nicht nur die heute gebräuchlichen in B und A, sondern auf längeren Strecken auch die höher gestimmten und viel heller klingenden in C verwendet werden. An einigen Stellen zur Erzielung besonderer Effekte kommt auch die noch höhere Es-Klarinette zum Einsatz, die Richard Strauss bei Till Eulenspiegels Tod am Galgen einsetzt. Die Hörner sind siebenfach besetzt, die Trompeten vierfach, dazu kommen noch drei Posaunen und eine Tuba. Mahler verwendet zusätzlich noch eine Harfe und erweitert das Schlagzeug mit einer weiteren Pauke, Großer Trommel, Becken, Triangel sowie Tamtam.

Viele Hörer vermissten zu Recht auch das Fehlen musikalisch eingeführter und verarbeiteter Themen, wie man es von allen bekannten Stücken kannte, das gehörte einfach auch zum Wesen von Musik, man sollte auch den Wiedererkennungswert nicht vergessen. Mahler setzt an ihre Stelle eine Anzahl unterschiedlicher Motive, meist ein oder zwei Takte lang, die nacheinander erklingen, oft jedoch gleichzeitig miteinander kombiniert werden, d.h. musikalische Gedanken werden nicht zu Ende geführt, sondern durch neue ersetzt. Da sich einen Überblick zu verschaffen, ist beim ersten Hören sicher sehr schwer bis fast unmöglich. Insofern ist die überwiegend ablehnende Meinung zu diese Sinfonie bei ihren ersten Aufführungen zu verstehen.

Auch für den Hörer, der Mahlers Partitur (noch) nicht kennt, die übervoll mit Hinweisen für den Dirigenten gespickt ist, ist eine Beurteilung der Interpretationsleistung eines Dirigenten samt Orchester nur schwer möglich, er kann sich nur auf den unmittelbaren Höreindruck berufen, vielleicht auch Vergleiche anstellen.

Wie Mahler sich den ersten Satz oder auch das ganze Werk vorstellte, gibt ein Ausspruch wieder, den der Münchner Kritiker und Autor Karl Schumann zitiert hat: „Geradeso, von verschiedenen Seiten müssen die Themen kommen und so völlig unterschieden sein in Rhythmus und Melodik.“*



Der 1. Satz beginnt mit einer Klangfläche der Streicher im Flageolett ausschließlich auf dem Ton a in verschiedenen Lagen. Dieser Orgelpunkt grundiert eine Anzahl von fallenden Quarten in den Holzbläsern, ihnen wird man in allen Sätzen wiederbegegnen. Mahler bezeichnete sie auch als „Naturlaut“, uns sind sie eher als Kuckucksruf bekannt. Neben dem Naturlaut bekommen auch weitere Vogelstimmen, Trompetensignale und der Marsch eine Bedeutung in diesem Satz, beides war Mahler aus seiner Jugendzeit in der Garnisonsstadt Iglau vertraut, in sein Unterbewusstsein eingeschrieben. Gerade der Marsch durchzieht, abgesehen vom 2. Satz, die gesamte Sinfonie. Das erste Signal wird zu Beginn noch von den weichen Klarinetten gespielt, einige Takte später jedoch von den Trompeten aufgegriffen. Sie sollen schmetternd klingen, aber „in der Ferne“, bei Aufführungen werden die drei Trompeter in irgendeiner Ecke hinten im Saal oder in einem der Bühne benachbarten Raum postiert. Bei Plattenproduktionen ist das leichter zu bewerkstelligen, trotzdem hört man in etlichen Aufnahmen die Trompeten nicht weit genug entfernt. Es scheint mir, dass Mahler mit seinen ständigen, in der Partitur niedergeschriebenen, Wünschen oder Forderungen die Dirigenten verwirrt hat oder übervorsichtig hat werden lassen. Immer wieder ist dort zu lesen: „gemächlich“, „immer sehr gemächlich“, „molto ritardando“, „nicht eilen“, kein Wunder, wenn in der überwiegenden Zahl der Aufnahmen die ruhigen Abschnitte sehr in die Länge gezogen werden. Dies kann wie eine bleierne Schwere auf der Musik lasten. Die Partitur gibt eine Gesamtdauer von 50 Minuten an, diese Zeit erreichen nur die älteren Dirigenten, nach Kubelik keiner mehr. Tennstedt und Segerstam bringen es gar auf 60 Minuten. In der Exposition des Kopfsatzes, und damit kehre ich zu ihm zurück, darf erst eine sehr allmähliche und stetige Temposteigerung vor der Partiturziffer 8 beginnen, dann sind bereits ca. 5 Minuten verflossen. Dieser nun schnelle Abschnitt ist jedoch ziemlich bald vorüber und mündet wieder in einen langsamen Teil, entweder durch die Wiederholung der Exposition, die von den meisten Dirigenten gebracht wird (ausgenommen Walter, Kletzki, Abravanel, van Kempen, Keilberth, Scherchen, Mitropoulos, Rosbaud, Steinberg, Solti-57, Kubelik-54 und 79, Kempe, Markevitch, Kondraschin, Haitink-62, Suitner, Giulini-76, Zsoltay, Mehta-80), oder am Beginn der Durchführung, wo die Musik wieder minutenlang in großer Ruhe verharren soll. Ein richtig schnelles Tempo tritt dann erst am Satzende ein, das dann wie befreiend wirken kann. Es verwundert wohl kaum, wenn es einigen Dirigenten recht schwer fällt, die Spannung zu halten. Wie schon oben gesagt, treten im 1. Satz anstelle einer klassischen Themenexposition unterschiedliche Motive auf. Eine Ausnahme stellt das Lied „Ging heut‘ morgen übers Feld“, zweites Stück aus „Lieder eines fahrenden Gesellen“, dar, dessen Melodie quasi als Motto den ganzen 1. Satz durchzieht, allerdings lässt der Komponist hier die Instrumente nur bis „... Feld“ spielen. Sogleich nach Beginn der Durchführung haben die Celli in Abständen mehrmals eine Seufzermelodie zu spielen, Mahler möchte sie als Glissando gespielt wissen, d. h. der betreffende Ton soll zum nächsten nach unten gezogen („geschmiert“) werden, das ist heute als höchst altmodisch verschrien und verpönt, aber der Komponist wollte es so. Nur wenige Dirigenten erfüllen deutlich Mahlers Willen: Horenstein-53, Scherchen, Leinsdorf, Bernstein-66, Masur, Gielen, Norrington, Svetlanov, Levine-02, Abbado-99, Ozawa, Slatkin und Honeck. Zehn Takte nach Ziff. 17 intoniert die Trompete den Anfang der Melodie „Ging heut‘ morgen“ und verbindet das mit der erwähnten Seufzermelodie. Bei der folgenden Ziff. 18 stellt sich für die Interpreten die Frage, lasse ich die 2. Geigen und Bratschen hervortreten, die die Melodie fortführen, oder gebe ich Flöten, Oboen und Klarinetten den Vorzug mit einem Motiv, das bei Ziff. 8 zum erstenmal auftritt. Dafür entscheiden sich u.a. Rattle und Gergiev, für die erstgenannte Fortsetzung u. a. Bertini, Zinman und Sinopoli.

Bei einer Aufführung der Sinfonie sollte sich am Anfang die Konzentration nicht von der Nervosität einholen lassen, das gilt gleichermaßen für den Dirigenten, der das Tempo vorgibt, als auch für die Instrumentalisten. Dass dies nur ein Wunsch ist, wird nach dem Vergleich von ca. 70 Aufnahmen klar. Der Anfang des Satzes wird nämlich selten genau im Tempo ausgeführt, meist sind die Pausen zwischen den fallenden Quarten der Holzbläser verkürzt, Mitropoulos verlängert sie. Wie notiert klingt es lediglich bei Gielen, Boulez, Abbado-81, Levine und Inbal.

Als 2. Satz hatte Mahler ursprünglich ein Andante in C-Dur vorgesehen, den sogenannten Blumine-Satz, ihn aber später wieder eliminiert. An seiner Stelle steht heute ein Scherzo in d-Moll nach klassischem Vorbild mit einem Trio in der Mitte. Es ist der am wenigsten problematische Satz der Sinfonie, den jeder Hörer gleich versteht. Kegel verändert anfangs den stilisierten Jodler in Geigen und Bratschen, später im Holz, indem er die Sechzehntel-Pausen hinter jeweils dem zweiten Ton ein ganz klein wenig verlängert. Im Trio lösen sich Ländler und Walzer ab und vereinigen sich miteinander. Hier muss die Musik charmant erklingen. Am Schluss wird die Melodie fast zu einem Ohrwurm, was für Mahlers Musik sonst kaum zutrifft. Dirigenten sollten darauf achten, dass sie die beiden Tanzformen nicht zu sehr angleichen.

3. Satz: Nach der letzten kritischen Gesamtausgabe (1992) soll der Beginn von allen Kontrabässen, nicht von einem Solo-Instrument gespielt werden. Bei den untersuchten Aufnahmen beginnt der Kanon „Frère Jacques - Bruder Jakob“ jedoch ausnahmslos mit einem Solo-Kontrabass. Mahler hat diesen Abschnitt einmal „Trauermarsch in Callots Manier“ genannt, Tiere des Waldes geleiten den toten Jäger zu seiner Grabstätte. Im Internet ist Callots Bild verfügbar. Die gesittet ablaufende Prozession wird von einer scharf punktierten Oboenmelodie, wie ein Spott, gestört. Bei einigen Interpretationen klingt sie auch traurig, als wollte die Oboe sagen, dass sie eben auf ihre Art trauere. Während die einen zum Friedhof ziehen, feiern die anderen. Dem sich entfernenden Trauerzug stellt Mahler nun sechs Takte lang ein ungarisch-slawisches Volkslied entgegen (Ziffer 5), gespielt von 2 Oboen mit „Gitarren“-Begleitung (Streicherpizzicato), dazu bringen zwei aufdringliche Trompeten einen kitschig klingenden Kontrapunkt. Anschließend bei Ziffer 6 geht es noch toller zu: eine Zirkuscombo schafft eine ziemlich vulgäre Czardas-Atmosphäre, Mahler notiert in der Partitur „Mit Parodie“ und das Tempo nicht schleppen, wichtig sind ihm auch die abwechselnd erklingende Große Trommel mit dem hängenden Becken, wie man es heute noch in der Volksmusik hören kann. Dazu begleiten die Streicher mit dem Bogenrücken auf die Saiten geschlagenen Akkorden, für die Entstehungszeit auch ziemlich unerhört. Nicht wenigen Dirigenten scheinen diese beiden kurzen Szenen deshalb befremdlich und sie deuten das Unerhörte nur an, vor allem die Zirkusmusik bleibt da viel zu brav. Die Musik wird in diesem Stil fortgeführt und das ungarisch-slawische Volkslied und die Zirkusmusik miteinander verbunden. Danach lässt sich der Trauermarsch noch einmal in komprimierter Weise hören, bevor Mahler einen erneuten Szenenwechsel inszeniert: mit Harfenbegleitung intonieren nur wenige Geigen sehr leise einen Abschnitt aus dem vierten von Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“ und zwar die Stelle „Auf der Straße steht ein Lindenbaum“, dies stellt sozusagen den Mittelteil dieses Satzes dar. Sehr wehmütig und zart erklingt die Musik. Anschließend kehrt der Trauerzug zurück, diesmal einen halben Ton höher gestimmt in es-Moll. Die vorher aus dem Rahmen fallende Oboenmelodie wird nun von einer schrill klingenden Es-Klarinette (Mahler: keck) vorgetragen. Auch die aufdringlichen beiden Trompeten kehren zurück samt der Zirkuscombo, die Musik wird plötzlich schneller, ausgelassener, bis plötzlich der Spuk bei Ziffer 17 beendet wird. Exemplarisch hören wir in Kegels bemerkenswerter Aufnahme, wie die Geigen und Bratschen, die Partiturseiten-lang nur mit Dämpfer spielen durften, diese abnehmen und wie im Handstreich eine plötzliche Wendung zum Beginn des Satzes herbei führen. Auch bei Zsoltay, Abbado-99 und Honeck ist dieser plötzliche Stimmungswechsel deutlich, etwas auch noch bei Masur. Bei fast allen anderen Dirigenten scheint mir die Dramaturgie dieser wenigen Takte nicht gut erfasst. Für mich ist der 3. Satz der modernste in dieser Sinfonie, eine bis dato noch nie komponierte Ironie!

Der 4. Satz soll ohne Pause folgen. Stürmisch bewegt soll die Musik beginnen, ich würde noch hinzufügen: gespenstisch, auftrumpfend, mit ständiger Unruhe, Verzweiflung, die sich bei Ziffer 6 zu einem Geschwindmarsch formt und sich recht bald als Marsch der Verzweifelten entpuppt. Erst das Seitenthema, das sich ab Ziff. 15 formiert, bringt vorübergehende Ruhe. Es soll sehr gesangvoll von den Geigen und auch Celli vorgetragen werden. Unmittelbar zuvor steht die Musik bei Ziffer 16 für einem Moment still, die Streicher fallen mit einem (sehr leisen) Glissando in Ruhe. Dieses Glissando wird von den meisten Dirigenten übergangen, nur Kegel, Norrington, Maazel, Zinman, Honeck, Luisi und Stenz vergessen nicht darauf hinzuweisen. Bei Ziffer 22 ist der Frieden zu Ende und im ff meldet sich das Marschmotiv zurück. Wie am Anfang zieht die Musik laut, drängend und stürmisch dahin und steuert erneut auf einen Höhepunkt bei Ziffer 34 zu. Nach einer kurzen Fanfare und einer ganz kleinen Atempause folgt eine tumultartig überschäumende Musik, gekrönt von einem Beckenschlag. Leider klingt diese Stelle bei den meisten Interpretationen nicht befriedigend, auch wenn der Einsatz des Orchesters sehr laut klingt. Ein Beckenschlag macht Krach, vermittelt aber nicht gleich etwas Gewaltiges. Falls diese Stelle überwältigend klingen soll, so hat sich Mahler das doch gedacht, müssen für den Bruchteil einer Sekunde zuerst Hörner und Trompeten alles übertönen und nicht vom Beckenschlag zugedeckt werden. Dafür gibt es auch noch einen anderen Grund: der gewaltige Lärm muss beim Hörer körperlich zu spüren sein um zu überwältigen, nicht nur über die Ohren, das vermag nicht allein der Beckenschlag, der Schall, der von Hörnern und Trompeten, kurz darauf auch Pauken und Großer Trommel, ausgeht, wirkt einfach bedrohlicher und befreiend zugleich. Kempe, Kegel, Zsoltay, Svetlanov, Abbado-81, Maazel, Levine und Luisi ragen hier deutlich heraus. Der Marsch wird danach noch einige Takte fortgesetzt, erschöpft sich dann auf einem lang auszuhaltenden leeren D-Akkord, der den Weg freimacht zum Urlaut des 1. Satzes inklusive Signale von Hörnern, Klarinetten und Flöten. Auch die Vogelstimmen sind wieder da. Das Tempo gefriert wie zuvor. Aus dieser Erstarrung entwickelt sich zögernd ein an das Seitenthema erinnernder Gesang zunächst der Celli, dann von den 1. Geigen übernommen, zuletzt von einer Oboe einsam beklagt. Sensible, wissende Maestri spüren bei den folgenden Takten sofort: das ist doch Tristan-Musik!, die schnell stärker wird und sich in dreimaliger Wiederholung zu erneuten Höhen aufschwingt. Wagners Tristan war Mahlers Lieblingsoper. Er hat sie immer wieder mit größtem Erfolg an seinen Hauptwirkungsstätten in Hamburg, Wien und zuletzt an der New Yorker Met herausgebracht. Nun ist es nicht mehr weit bis zum Finale des Satzes, wiederum als Marsch komponiert. Der eigentliche Schluss will sich gar nicht einstellen, immer wieder setzen vor allem Hörner und Trompeten erneut an, trotzdem scheint es so, dass die Musik auf der Stelle stehenbleibt. Bei Ziffer 59 ist dann das Ende nicht mehr weit, mit schmetternden Fanfaren klingt die Sinfonie (fast wie erschöpft) aus, nicht nur die Musiker, vor allem Hornisten und Trompeter, wahrscheinlich auch die Hörer werden von diesem Gefühl der totalen Verausgabung heimgesucht. Zwei Dirigenten, Paul Kletzki und Igor Markevitch, geht dieser Schlussjubel zu weit, sie führen das Ende etwas schneller herbei durch einen Sprung von Partiturziffer 57 zu Ziffer 59 und sparen damit 25 Takte ein.

Gustav Mahler bemerkte nach Vollendung der Komposition: „So! Mein Werk ist fertig! Es ist so übermächtig geworden – wie es aus mir wie ein Bergstrom hinausfuhr! Wie mit einem Schlag sind alle Schleusen in mir geöffnet!“*



Ich sehe in Mahlers 1. Sinfonie hauptsächlich ein Versprechen in Erwartung dessen, was noch folgen soll.

Mahlers Musik ist erst durch die Stereo-Technik richtig aufgeweckt worden. Das aufgefächerte Klangbild führte nun zu einer plastischen Abbildung der Partitur, Einzelheiten kommen deutlicher heraus, Motive und Themen, die aus unterschiedlichen Richtungen zu hören sein sollen (z.B. Trompetensignale), sind nun wie von Mahler gewünscht abgebildet.


* Karl Schumann: Das kleine Gustav-Mahler-Buch, Hamburg 1982


Walter

New York Philharmonic Orchestra

CBS Sony

1954

48‘37

5


Dohnanyi

Cleveland Orchestra

Decca

1989

54‘36

5

I ganz leiser, geheimnisvoller Beginn, Perfekt, das romantische Sehnen bleibt jedoch etwas auf der Strecke, II eindeutig Scherzo-Charakter, III Oboe hier im traurigen Tonfall, IV sehr weich ansetzendes Blech - genauestens dosierte Lautstärke (siehe auch unten)

Gielen

SWF Sinfonie-Orchester

hännsler

2002

52‘16

5

I sehr langsamer Beginn, ab dem Thema „Ging heut...“ schneller, lebendige Darstellung, II kräftiges Scherzo, bewegtes Trio ohne Wiener Salon, III klar aufgestellter Kanon, sowohl ungarisch-slawisches Volkslied als auch Zirkusmusik sehr gut, immer bewegt, IV überzeugend, schnelle Abschnitte nie überhitzt, Seitenthema gesangvoll und espressivo, jedoch nicht schleppend, weitgehender Verzicht auf Vibrato, außer Oboe bei Ziff. 42?? – das Klangbild könnte etwas plastischer sein

Abbado

Lucerne Festival Orchestra

EuroArts

2009

55‘46

5

live


Zsoltay

Süddeutsche Philharmonie

Intercord

1962

48‘20

4-5

vor allem die überzeugenden Tempi geben dem Werk einen freundlicheren, mehr dem Leben zugewandten, Anstrich – I anfangs nicht so gezogen, Hörner mit leichtem Vibrato, 7 vor Ziff. 12 Flöte keine Punktierung, II musikantisches Scherzo, differenziertes Trio, Ländler könnte ein wenig langsamer sein, III zügiger Trauermarsch, deutliche Kanon-Einsätze, bei Ziff. 6 B- statt Es-Klarinette?, gute Parodie, deutliche Combo, IV wieder sehr zügig, ruhig gesungenes Seitenthema, danach Musik wie getrieben, verfolgt, rasend

Walter

London Philharmonic Orchestra

Testament

1947

45‘49

4-5

live

Walter

Columbia Symphony Orchestra

CBS Sony

1961

52‘19

4-5


Mitropoulos

Minneapolis Symphony Orchestra

CBS Sony

1940

47‘32

4-5


Kegel

Dresdner Philharmonie

Eterna Berlin classics

1979

55‘34

4-5

Kegel hört in die Partitur hinein, Tempo, Dynamik, Artikulation auf das Genaueste wie von M. vorgezeichnet, großes Gespür für die Musik, II Trio weniger Ausdruck, III Trauermarsch setzt sich tatsächlich in Bewegung und bleibt nicht wie angewurzelt auf der Stelle stehen, Parodie bei Ziff. 6 deutlich, IV beim Seitenthema ganz langer Atem, ohne dass die Spannung einbricht, jähe Stimmungswechsel genau realisiert, transparenter Klang mit wenig Tiefenstaffelung

Jóo

Amsterdamer Philharmonic Orchestra

Arts

1983

53‘58

4-5

hervorragende Transparenz, I mit langem Atem, con anima, II heiteres Scherzo, Trio mit gespannter Ruhe, III auch die Harfe beteiligt sich deutlich am Kanon, weniger als Trauermusik denn als Sommernachtstraum, leicht und locker, das ist auch parodistisch, IV immer auch Blick auf die Neben- und Füllstimmen – großartige Leistung eines auf dem Plattenmarkt kaum vertretenen Orchesters

Norrington

SWR Sinfonie-Orchester Stuttgart

hänssler

2004

51‘45

4-5

live – offenes, transparentes Klangbild, alles sehr deutlich, I vorbildliche Differenzierung, im lebhaften Teil lebendige und aufmerksame Darstellung mit Schlusssteigerung ab Ziff. 30, II rustikales Scherzo, liebevoll gestalteter Ländler, kleine Tempoverzögerungen durch Partitur abgedeckt, Walzer abgesetzt, III schneller Trauermarsch, einzelne Kanonteile wie geleiert (Absicht), insgesamt jedoch etwas zu laut, slawisches Volkslied und Zirkuscombo gut getroffen, IV furioser Beginn, am Ende Ziff. 13/14 wie ausgebrannt, Seitenthema könnte etwas leiser sein, jähe Stimmungsumschwünge bestens realisiert – ohne Vibrato, das brachte angeblich zuerst Mahlers Schwager Arnold Rosé in die Orchester – hervorragende Realisation der Partitur, gleichwohl wird diese Art des Musizierens nicht jedermann gefallen

Stenz

Gürzenich Orchester Köln

Oehms

2011

52‘42

4-5

I Holzbläser in den ersten Takten etwas zu laut, ansonsten jedoch gute Lautstärkedifferenzierung, immer um Deutlichkeit bemüht, zum Satzende hin sehr lebendig, II kräftiges Scherzo, Trio nicht schleppend, Kammermusik, III Volkslied und Zirkusmusik im Sinne der Partitur, IV Mahlers Tempovorgaben verwirklicht, langer Atem

Levine

London Symphony Orchestra

RCA

1974

55‘04

4-5

von der Auffassung Gegenposition zu Norrington und trotzdem ebenfalls in Mahlers Sinn – warmer durchsichtiger Klang, in Tutti-Abschnitten recht saftig, I sehr ruhiger Beginn, sehr klares Klangbild, erfrischender Themabeginn „Ging heut‘ morgen...“, zum Schluss hin ausgelassen, II derbes Scherzo, liebevoll gestaltetes Trio, könnte noch leiser sein, III sehr klar dargebotene Parodie, IV überzeugend, langsames, ausdrucksvolles Seitenthema

Zinman

Tonhalle Orchester Zürich

RCA

2006

55‘06

4-5

I weniger Spannung zu Beginn, Zinman zieht bei „Ging heut‘ morgen..“ das Tempo deutlich an, insgesamt lebendiger als gewöhnlich, II schnelles Scherzo, differenziert, col legno bei Ziff. 10 kommt deutlich heraus, Trio: nicht zu gemütlich, Ländler und Walzer eher stilisiert, III Tanzmusikeinlage Ziff. 5-8 gut getroffen, IV eher ein schlanker Sturm, Seitenthema ziemlich ohne Vibrato, jedoch langsam und zart, im lautesten fff immer noch transparent

Abbado

Berliner Philharmoniker

DGG

1989

54‘04

4-5

live

Abbado

Chicago Symphony Orchestra

DGG

1981

54‘16

4-5


Svetlanov

Staatliches Sinfonie-Orchester der UdSSR

Warner

1992

57‘06

4-5

transparentes Klangbild mit geringerer Tiefenstaffelung, I anfangs sehr ruhig, vor Ziff. 16 lebendiger bis zum Satzende, II im Scherzo hebt Sv. das Skurile hervor, neue Sichtweise, Trio: dekadentes Wien, übertrieben, selbst schon eine Parodie, III Sv. nimmt den Trauermarsch ernst, keine Ironie, kein „als ob“, nichts Bittersüßes haftet dieser Interpretation an, Trompeten ab 2 nach 14 zum Herzerweichen schmalzig, wie bei einer Beerdigung in einem italienischen Film, IV aufgewühlte Allegroteile, Ausnahmezustand, Tuttischläge haben Biss, gesang- und ausdrucksvolles Seitenthema

Honeck

BBC Symphony Orchestra

BBC music

1998

58‘20

4-5

live - I sehr, sehr langsamer Beginn, Spannung jedoch gehalten, furioser Schluss, transparenter Klang, II Scherzo fängt etwas zurückhaltend an und wird dann schneller, aufgewühlt, Trio: Ländler etwas fest, Walzer lockerer, III ruhiger Trauermarsch kommt näher und entfernt sich dann wieder, warum 1 vor Ziff. 6 beschleunigen?, Parodie fast überzeugend, ab Ziff. 16 stimmungsvoll, IV stürmischer Beginn, langer Atem für all die langsamen Strecken, triumphaler Schluss

Steinberg, William

Pittsburgh Symphony Orchestra

Capitol

EMI

1953

48‘33

4-5

gut aufgefächertes Klangbild, Dynamik im unteren Bereich jedoch nicht optimal, in den schnellen Sätzen vitale, musikantische Interpretation bei zügigen Tempi, jedoch etwas geheimnislos, in ihrer Art jedoch überzeugend, hebt sich vom Gros der übrigen Aufnahmen ab; ziemlich heller Trauermarsch, teilweise auch grell, erinnert zum Ende an eine fröhliche, gelöste Nachfeier

Tilson Thomas

San Francisco Symphony Orchestra

SFS

Eigenlabel

2001

55‘53

4-5

I nimmt sich Zeit, Ruhe, II dynamische Differenzierung nicht ganz top, Trio im Charakter nicht so deutlich abgesetzt, III Ziff. 5 etwas zu schnell, der Tempogegensatz zu Ziff. 6 greift dann nicht, IV angemessen, leise ausdrucksvolle Stellen hätten noch etwas Espressivo vertragen können

Kubelik

Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks

DGG

1967

49‘50

4-5


Kletzki

Wiener Philharmoniker

EMI

1961

49‘57

4-5


Solti

Kölner Rundfunk Sinfonie-Orchester

Archipel

1957

47‘38

4-5

live

Segerstam

Dänisches Radio Sinfonie-Orchester

Chandos

1993

60‘05

4-5

I sehr ruhig und sehr langsam, mustergültiger Beginn, Schluss ohne richtigen Überschwang, II sehr deutlich, im Tempo jedoch gezügelt; laut, aber nicht lärmend, Trio langsam und deutlich, III bei Ziff. 5 Oboe im Verhältnis zur Trp. zu leise, auch bei „Auf der Straße...“ zu zurückhaltend, Ziff. 6 gut, IV 1. Vl. und Vc. beim Seitenthema etwas zurück, wenig innig, geringes Sentiment, insgesamt auch zu langsam – im ganzen sehr seriös, partiturbezogen

Boulez

Chicago Symphony Orchestra

DGG

1998

52‘24

4-5

blitzsauberes Musizieren, sehr gut gestaffeltes Klangbild, das alle Details freigibt, I sehr ruhiger Beginn, auch bei Ziff. 12-16, ab 24 große Steigerung, die bis zum Schluss anhält, II sehr lebendiges Scherzo, Trio auch schneller als gewohnt, Ländler und Walzer jedoch kaum voneinander unterschieden, III slawisches Lied bei Ziff. 5 gut, bei 6 Große Trommel jedoch viel zu leise, insgesamt sehr zart, IV furioser Beginn, Seitenthema gesangvoll, jedoch nicht zu langsam, Finale könnte noch etwas entschiedener zu Ende gehen

Nott

Bamberger Symphoniker

Tudor

2006

55‘10

4-5

immer transparenter Klang, viele Details, I nicht ganz so verhalten wie bei anderen Digital-Aufnahmen, erfrischend schnelles Finale, II kraftvolles Scherzo, zufriedenstellendes Trio, III Musik als Marsch in Bewegung, deutliche Kanoneinsätze, keine überzeugende Parodie ohne Schlagzeug, bei Ziff. 15 dann besser, IV Mahlers Vorgaben im Großen und Ganzen erfüllt

Chailly

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Decca

1995

56‘53

4-5

I zu Beginn Musik wie erstarrt, wenig Spannung, Klangbild wenig farbig, Trompete ganz weit entfernt, 7 und 10 nach Ziff. 12 Flöte vernachlässigt Punktierung, II Scherzo beginnt in ruhigerem Tempo, Trio etwas langsam, jedoch liebevoll gestaltet, III sehr durchsichtiger Trauermarsch, Parodie hätte noch aufgekratzter kommen können, viele Details, z.B: Fagott ab 2 nach Ziff. 8, IV anfangs jähe Wechsel, lässt sich viel Zeit für langsame Abschnitte, bester Satz

Bernstein

Concertgebouw Orchester Amsterdam

DGG

1987

55‘57

4-5

live

Giulini

Chicago Symphony Orchestra

EMI

1971

56‘51

4-5



Leinsdorf

Boston Symphony Orchestra

RCA

1962

53‘00

4

geradliniges Musizieren, transparentes Klangbild, viel Körper, I „Pausen“ T. 4 und 6 verkürzt, anfangs bewegteres Tempo als vorgesehen, II kräftiges und derbes Scherzo, Trio mit viel Sinn für die rhythmischen und klanglichen Valeurs, III traurige Oboe, die einzelnen Stimmen des Kanons gut zu verfolgen, bei Ziff. 5 Trompete wenig ausdrucksvoll, etwas harmlos, Ziff.6 ähnlich, keine Parodie, zu vornehm, Schreitbewegung während des ganzen Satzes, IV Seitenthema ruhig und ausdrucksvoll, nicht schleppend; ziemlich überzeugend

Abravanel

Utha Symphony Orchestra

Vanguard


49‘01

4

I sehr deutlich, belebt, im Allegro con anima, Streicher klingen bei Flageolett-Stellen ziemlich seidig, II saftiger Panorama-Klang, Trio hebt sich gut vom Scherzo ab, III eher zügiges Tempo, ziemlich hell, keine optimale Lautstärkedifferenzierung, Parodie könnte etwas aufgekratzter klingen, IV vital, in Tutti-Abschnitten auch grell, Seitenthema wenig innig, immer sehr deutlich

Kubelik

Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks

audite

1979

51‘24

4

live

Horenstein

Wiener Symphoniker

Vox

1953

57‘32

4


Horenstein

London Symphony Orchestra

Unicorn

1969

56‘36

4


Walter

Bayerisches Staatsorchester

Orfeo

1950

48‘41

4

live

Kletzki

Israel Philharmonic Orchestra

EMI

Doremi

1954

49‘23

4


Bernstein

New York Philharmonic Orchestra

CBS Sony

1966

52‘39

4


Haitink

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Philips

1962

51‘47

4


Solti

London Symphony Orchestra

Decca

1964

53‘48

4


Solti

Chicago Symphony Orchestra

Decca

1983

57‘30

4


Rattle

City of Birmingham Symphony Orchestra

EMI

1991

56‘38

4

live – Rattle hält sich sehr genau an Mahlers Anweisungen (Lautstärke, Tempo, Artikulation), II kraftvolles Scherzo, Ländler und Walzer gut voneinander unterschieden, ein Kabinettstückchen!, die folgenden Sätze leider nicht auf der Höhe der beiden ersten, III verhaltener Trauermarsch, keine Parodie, da das Schlagzeug fehlt, erst bei Ziff. 15 etwas greller, „Auf der Straße..“ sehr verhalten, IV R. lässt sich sehr viel Zeit, Satzzusammenhalt gefährdet, nimmt das Tempo immer wieder zurück, auch im Finale bei Ziff. 25 - 27

Chung

Seoul Philharmonic Orchestra

DGG

2010

55'10

4

live – Aufnahme gewinnt von Satz zu Satz, I viele Themeneinsätze könnten prägnanter sein, Konturen verschwimmen, beim Wechselspiel zwischen Flöten und Klarinetten bei Ziff. 15 fehlen die Flöten, II Scherzo kräftig, jedoch wenig differenziert, Ländler und Walzer deutlich unterschieden, III Einlagen bei Ziff. 5 und 6 gut, hätten jedoch noch etwas drastischer ausfallen können, schön der „Rülpser“ vor Ziff. 8, IV überzeugende Leistung, trotz der sehr langsamen Abschnitte

Sinopoli

Philharmonia Orchestra London

DGG

1989

56‘59

4

I für eine Digital-Aufnahme Anfang zu laut, Transparenz und Balance nicht optimal, Geigen bei ff-Tutti oft zu laut, Spannung teilweise auf niedrigem Niveau, II akustische Verhältnisse jetzt besser, kraftvolles Scherzo, wenig Duft bei Ländler und Walzer, III immer deutliche Pauke, Parodie bei Ziff.6 getroffen, könnte noch etwas aufgekratzter klingen, Klarinette 6 nach Ziff. 6 wenig keck, Trompeten 5 nach Ziff. 16 zu laut, sentimental, IV in ff/fff-Passagen Balance erneut nicht top, bei Höhepunkten zu bombastisch, beim Seitenthema Anklänge an Puccini

Rosbaud

Berliner Philharmoniker

Tahra

1954

48‘51

4

live, vom Sender autorisierter Mitschnitt?, einige geringfügige Verzerrungen, stumpfes, wenig transparentes Klangbild, I insgesamt nicht so ruhig wie gewohnt, II Trio wenig p und pp, deutliche Pizzicati, III zügiges Tempo, deutliches Musizieren, kaum Spannung von Ziff.5 zu Ziff. 6, IV bester Satz, man spürt Rosbauds Vertrautheit mit der Partitur, vorwärts drängend, auch in langsamen Partien – insgesamt eine emotional besetzte Aufführung

Giulini

Berliner Philharmoniker

Testament

1976

58‘40

4

live

Davis

Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks

Novalis

1988

56‘39

4

sehr gute Orchesterleistung, transparenter Klang, I sehr ruhig und schleppend bis Ziff. 17, danach auch noch zurückhaltend, schnell erst ab Ziff. 29, 7 und 10 nach Ziff. 12 Flöte keine Punktierung, II bewegt, jedoch nicht kräftig, Trio: Ländler und Walzer im Stil kaum unterschieden, Musik liebevoll nachgezeichnet, III Musik bei Ziff. 5 und 6 kaum überzeugend, Schlagzeug zu leise, „Auf der Straße..“ zu leise, Oboe vor Ziff. 12 Achtel wie punktiert; insgesamt geringe Spannung, IV ausdrucksvolles Seitenthema, Musik wie getrieben zwischen Ziff. 22 und 25!, insgesamt bester Satz

Solti

Wiener Philharmoniker

Orfeo

1964

53‘52

4

live

Mehta

New York Philharmonic Orchestra

CBS Sony

1980

52‘04

4


Dudamel

Los Angeles Philharmonic Orchestra

DGG

2009

57'59

4

live, Antrittskonzert – I Satz hat Kontur, II Scherzo tapsig, kaum Unterschiede zw. Ländler und Walzer, jedoch liebevoll gestaltet, III Anfang zu laut, danach wenig transparent, ungarisch-slawisches Volkslied sowie Csardas gut, klare Stimmführungen, IV dem Klang fehlt die Tiefenstaffelung, das stört vor allem in den längeren ff-Abschnitten, wenig plastisch, wenig Relief, bei Ziff. 25 spielen Oberstimmen nur f statt ffein Produkt der komerziellen Einstellung „alles muss auf den Markt“

Neumann

Tschechische Philharmonie Prag

Supraphon

1979

51'55

4

I ohne Wdhlg., Trp. Anfangs zu nah, solide, wenig Glut zum Satzende, II Scherzo stellenweise etwas schleppend, kaum Unterschiede zw. Ländler und Walzer, III bei der Parodie Ziff. 6 zu kultiviert, IV geradlinig – das Besondere des Werkes kommt nicht heraus, zu sehr als absolute Musik in der Tradition gesehen

Luisi

Wiener Symphoniker

Eigenlabel

2012

55‘48

4

Transparenz nicht ganz auf der Höhe des heute Möglichen, I Trp. nicht ganz so weit entfernt, lebendiger als die Regel, II die ersten 6 Takte langsamer als die folgenden, kräftig bewegt, Trio: Rubatospiel wenig elegant, Walzer zieht sich hin, III klarer Kanonaufbau, bei Ziff. 5 Trompete zu leise, Zirkuscombo bei Ziff. 6 viel schneller, trumpft jedoch nicht auf, ebenso bei Ziff. 15, IV bei Ziff. 16 viel Rubato, ausdrucksvolles Seitenthema, Hornsignal nach Ziff. 38 bestens differenziert, einige Stellen wünschte ich mir noch mehr zugespitzt, bester Satz

Maazel

Wiener Philharmoniker

CBS Sony

1985

57‘46

4

I „Pausen“ bei T. 4 und 6 zu kurz, Maazel lässt sich viel Zeit, setzt Mahlers Partiturvorschriften penibel um, II Scherzo sehr gemächlich, etwas schwerfällig, Trio: Ländler und Walzer gut getroffen, III insgesamt verhalten, Parodie zu zahm, 2 nach Ziffer 16 nicht plötzlich viel schneller, IV Anfang etwas schwerfällig, etwas langsameres Grundtempo, Seitenthema distanziert, kein triumphaler Schluss – Maazel versagt sich jeglicher Exzessivität

Markevitch

RAI Orchester Turin

Living stage

1967

44‘23

4

live – stumpfer Klang, an einigen Stellen kleine Verzerrungen, Orchester technisch nicht immer auf sehr hohem Niveau, I Markevitch oft schneller als Mahler verlangt, II Scherzo musikantisch, derb, Walzer deutlich vom Ländler abgehoben, III bewegtes Tempo, etwas nüchtern, bei Ziff. 5 zu schnell, Parodie hebt sich nicht gut ab, IV leidenschaftlich, Höhepunkt bei Ziff. 52 nicht überzeugend, Strich zwischen Ziff. 57 und 59!

Bertini

Kölner Rundfunk Sinfonie-Orchester

EMI

1991

54‘38

4

live – I anfangs sehr ruhig, vor Ziff. 16 bewegter, zum Satzschluss hin fast Presto, da geht Ausdruck vor Artikulation, II burschikoses Scherzo, im Trio Ländler und Walzer angeglichen, III mehr das Große und Ganze im Auge, weniger die Details, IV ab Ziff. 6 weniger energisch, Musik eher geglättet, nicht immer inspiriert, echte Höhepunkte? – im Konzertsaal mag die Interpretation Zustimmung gefunden haben, als Konserve weniger

Masur

New York Philharmonic Orchestra

Teldec

1992

52‘58

4

offenes Klangbild, Streicher etwas rau, Spielkultur nicht auf gleicher Höhe wie z. B. des Chicago SO, I anfangs nicht schleppend, insgesamt mehr bewegt, temperamentvoll, II derbes Scherzo, im Trio bei Ländler und Walzer kaum ein Unterschied, III warum 1 vor Ziff. 6 beschleunigen?, Parodie getroffen, nicht optimal differenziert, IV Seitenthema mehr nach außen hin gespielt als nach innen gehört, musikantisch in den schnelleren Abschnitten

Scherchen

Royal Philharmonic Orchestra London

Westminster

1954

49‘59

4

Scherchen als Sachwalter der Partitur, Klangbild wenig farbig,Trennschärfe für eine Mahlersinfonie nicht optimal – I sehr ruhiger Beginn, fast zu neutral, Orchesterspiel lässt Wünsche offen, II lebendig, drängend, Trio bewegter als gewöhnlich, III Oboe leiser, nicht so auffallend; Tamtam hervortretend, Bei Ziff. 5 sind Blasinstrumente nicht deutlich getrennt, Parodie bei Ziff. 6 nicht deutlich, IV teilweise grell, schön gesungenes Seitenthema, Ziff.16ff, jedoch wenig Wärme!

Tennstedt

London Philharmonic Orchestra

EMI

1977

53‘51

4



Haitink

Berliner Philharmoniker

Philips

1987

56‘40

3-4


Fischer, Ivan

Budapest Festival Orchestra

Challenge

2012

55‘29

3-4

I Flageolett zu Beginn etwas flach, wie nebenbei, insgesamt bis Ziff. 4 wenig Spannung, immer sehr zurückhaltend im Tempo, sehr sorgfältig, jedoch nicht sonderlich inspiriert, II Trio langsam, etwas distanziert, III Pauke zu wenig markierend, Parodie gut, IV sehr sorgfältig, gebremstes Tempo, bei von M. als ausdrucksvoll genannten Stellen zu zurückhaltend, am Schluss kein Gefühl der Befreiung, des Triumphes

Tennstedt

Chicago Symphony Orchestra

EMI

1990

60‘20

3-4

live

Kubelik

Wiener Philharmoniker

Decca

1954

49‘32

3-4


Mehta

Israel Philharmonic Orchestra

Decca

1978

51‘14

3-4


Suitner

Staatskapelle Dresden

Eterna

Berlin classics

P 1963

51‘03

3-4

transparentes Klangbild, nicht mehr so ganz frisch, Klarinetten setzen 7 vor Ziff. 8 das von der Trompete angestimmte HT ziemlich gleichgültig fort, Große Trommel bei Ziff. 13 ??, ansonsten zufriedenstellend, II gemächliches Tempo, kaum Kontrast zwischen Ländler und Walzer, weniger profiliert, III Ziff. 5 domestiziert, Ziff. 6 kein hum-ta, Große Trommel?, Parodie? insgesamt mehr an der Oberfläche musiziert, IV Tempoextreme meidend, Seitenthema weniger ausdrucksvoll, die Musik schleppt sich bis zum Ende

Ozawa

Boston Symphony Orchestra

DGG

1977

54‘27

3-4


Ozawa

Boston Symphony Orchestra

Philips

1987

53‘52

3-4


Gergiev

London Symphony Orchestra

LSO

Eigenlabel

2008

52‘28

3-4

live – insgesamt musikantische Darstellung, enttäuschendes Klangbild für 2008, transparent, jedoch fast keine Tiefenstaffelung, flach, das betrifft vor allem die vielen ff-Strecken besonders im Schlusssatz, passt nicht zum Ausdrucksmusiker Gergiev!, I schneller als gewöhnlich, Hornabschnitte vor und nach Ziff. 2 ohne Espressivo, Zwischen Ziff. 12 und 14 kaum Spannung, musikalische Abläufe manchmal etwas beliebig, II schnelles Scherzo, Ländler wenig Esprit, Walzer zu scheu, III Kanon kaum geformt, Parodie bei Ziff. 6 könnte aufgekratzter klingen, erst nach Ziff. 7 besser, Pauke insgesamt zu leise, IV Seitenthema weniger ausdrucksvoll, musikantisch

Slatkin, Leonard

Saint Louis Symphony Orchestra

Telarc

1981

50‘24

3-4

überwiegend schnellere Tempi als üblich, das ist in Ordnung, nur hätte S. viel mehr an der Dynamik und der Artikulation arbeiten müssen, so klingt es sehr nach al fresco, I nicht so leise wie gefordert, Trompeten auch nicht so weit entfernt, Hornstelle vor Ziff. 2 keine runde Sache, Darstellung eher burschikos, II derbes Scherzo, Trio mehr durchgezogen als gestaltet, III bei Ziff. 5 Oboen zurückgesetzt, Parodie nur angedeutet, Mittelteil durchgespielt, grobe Dynamik, IV überzeugt am meisten

Inbal

Radio Sinfonie-Orchester Frankfurt

Denon

1985

54‘49

3-4

Mahlers Partitur sachgerecht dargestellt, jedoch wenig erlebt, transparenter Klang, geringere Tiefenstaffelung, I sehr ruhiger Beginn, erst ab Ziff. 29 schnell, II lebhaftes Scherzo, gemächliches Trio, III Zirkus-Musik bei Ziff. 6 hätte noch etwas derber sein können, insgesamt zu ungefährdet, kaum Doppelbödigkeit, IV kein gefühlter Sturm, Seitenthema wenig espressivo, insgesamt wenig Spannung

Tabakov

Sofia Philharmonic Orchestra

Capriccio

1989

55'45

3-4

I Anfang sehr ruhig, beim Beginn des Themas schneller, sehr helles, insgesamt wenig farbiges Klangbild, Instrumente nicht optimal von einander getrennt, II Scherzo etwas lässig, Beschleunigung bereits vor Ziff. 13, Trio: Ländler und Walzer angeglichen, III bewegter Trauermarsch, Ziff. 5 und 6 mäßig, insgesamt mehr referiert als miterlebt, keine richtige Stellungnahme, IV passabel, Klang nach Ziff. 34 ohne Konturen

Kempe

BBC Symphony Orchestra

BBCL

1965

50‘57

3-4

enttäuschendes Klangbild, wenig transparent, eng, gepresst, Hörner wie hinter einem Vorhang – I ab Ziff. 12 schnelleres Tempo, II Vc und Kb fehlt es anfangs an Entschiedenheit, Walzer etwas schwerfälliger als Ländler, III keine besondere Aufmerksamkeit für die Geschehnisse bei Ziff. 5 und 6, kaum eine Parodie, etwas konzeptlos, IV die Musik zieht sich bis Ziff. 13 hin, Seitenthema keine große Linie, bei Ziff. 43 und 44 ohne Nachdruck

Kondraschin

NdR Sinfonie-Orchester

EMI

1981

48‘13

3-4

live - I nicht zu langsames Grundtempo, mehr referiert als musiziert, keine optimale Transparenz, II Scherzocharakter gut getroffen, keine Differenzierung zwischen Ländler und Walzer, III Ziff. 1-4 wenig Regie, Ziff. 5 Trompete?, Ziff. 6 wenig grell, IV am besten, man hat sich aneinander gewöhnt


van Kempen

RAI Orchester Turin

Tahra

1955

54‘39

3

live – wenig transparentes, topfiges Klangbild mit klarer Benachteiligung der hier so wichtigen Hörner, dabei kommt der immer wiederkehrende Dualismus zwischen Hörnern und Trompeten kaum zur Geltung: amputierte Interpretation – I kommt sehr spät zum schnellen Tempo, II liebevoll nachgezeichnetes Trio, III Parodie bei Ziff. 6 etwas mickrig, wenig parodistisch, Es-Klarinette nach Ziff. 13 nicht keck, IV gefällt mir am besten

Keilberth

Staatskapelle Dresden

Tahra

1950

50‘20

3

live – Spielkultur des Orchesters nicht auf sehr hohem Niveau, rauhe Streicher, Intonationsmängel, teilweise überforderte Bläser, Mikro sehr nahe am Orchester, viele Bläserdetails, allerdings wie ein Eintopf: alles wird gleich wichtig abgebildet; weniger ein Dokument von Mahlers 1. als ein noch von den Nachwehen des Krieges gezeichnetes Orchesters


Hinweise zu Interpreten und ihren Interpretationen:

Bruno Walter

Bruno Walter war in der ersten Jahren seines Musikerlebens eng mit Gustav Mahler verbunden, dieser förderte ihn wo es möglich war und zog den jungen Kapellmeister in sein Vertrauen. Ein umfangreicher Briefwechsel zeugt vom Austausch nicht nur im direkt künstlerischen Bereich. Mahler weihte ihn auch als einen der ersten über neue Kompositionsvorhaben ein. So war es nur folgerichtig, dass Walter nach Mahlers Tod die noch unaufgeführten Werke aus der Taufe hob, das Lied von der Erde und die 9. Sinfonie. Seitdem gilt der Dirigent als berufener Sachwalter von Mahlers OEuvre.

Auch die erste Sinfonie stand häufig als Schlussstück auf seinen Programmen. Zweimal hat er sie für Columbia (CBS) aufgenommen, zuerst 1954 mit den New Yorker Philharmonikern, dann ein Jahr vor seinem Tode noch einmal in Stereo mit dem Columbia Symphony Orchestra (1961). Die erste Aufnahme scheint mir Mahlers Komposition ziemlich authentisch wiederzugeben. Die Partitur wird ziemlich klar, unverschnörkelt und durchsichtig durchschritten. Walter achtet immer darauf, dass die Musik vorwärts drängt, wie der Komponist so oft verlangt, auch bei ruhigen Passagen wird das Tempo nicht zu sehr zurückgenommen. Der 2. Satz wird frisch und bewegt gespielt, doch nicht zu schnell. Auch die übrigen Sätze überzeugen, Ausnahme ist der Beginn des 1. Satzes, der (nur hier) nicht im Metrum gespielt wird. Die Aufnahmetechnik hat für die damaligen Möglichkeiten beste Arbeit geliefert. Die nachfolgende Stereo-Platte hat in punkto Raumklang, Durchsichtigkeit und Präsenz noch mehr zu bieten, das künstlerische Resultat erreicht die frühere Aufnahme jedoch nicht ganz, dafür sind manche Partien doch etwas zu gemächlich gespielt. Sehr gut gefällt mir hier ein warmherzig gespieltes Trio im 2. Satz. Der Londoner BBC-Mitschnitt aus dem Jahre 1947 galt lange Jahre als verschollen und wurde erst 2008 vom rührigen Label Testament auf den Markt gebracht. Aus rein musikalischer Sichtweise stelle ich diese Interpretation noch vor die spätere Studio-Produktion, in den Ecksätzen wird oft harscher, aufgewühlter musiziert. Den 2. Satz hört man hier derber und temperamentvoller. Andererseits ist der Mitschnitt leider nur von minderer Qualität, der Mahlers differenzierte Orchesterbehandlung stellenweise nur ahnen lässt. Alles klingt entfernt und weniger deutlich, im Finale dagegen ist die Pauke etwas zu präsent, aufdringlich zu hören. Der Mitschnitt aus Walters ehemaliger Wirkungsstätte München hat auch seine Meriten, jedoch präsentiert sich das sicher Mahler-ungewohnte Orchester der Bayerischen Staatsoper nicht immer geschliffen, viele Stellen sind verwackelt, Akkorde kommen nicht immer genau auf den Schlag. Im 3. Satz klingt mir die Musik bei Ziff. 5-7 wenig agressiv, etwas harmlos, dagegen ist das Seitenthema im Finale sehr innig gelungen. Die Rundfunkaufnahme übertrifft, was das Klangbild betrifft, den Londoner Mitschnitt deutlich.

Jascha Horenstein

Zeit seines Lebens hat sich Horenstein für die Musik Gustav Mahlers eingesetzt, auch auf Schallplatten ist dies durch einige eindrucksvolle Einspielungen bzw. Mitschnitte dokumentiert. Von der 1. Sinfonie liegen hier zwei Aufnahmen vor: 1953 spielte er sie mit den Wiener Symphonikern für Vox ein, 1969 entstand eine Aufnahme mit dem London Symphony Orchestra für das englische Label Unicorn. Diese CD ziehe ich der älteren allein schon wegen des besseren Klangbildes, aber auch der größeren Vertrautheit des Londoner Orchesters mit Mahlers Musik vor. Interpretatorisch sind kaum Unterschiede zu erkennen. Das Scherzo wird 1953 gemächlich musiziert, 1969 dann belebter, beim langsamen Satz ist es umgekehrt. Der Finalsatz wird in beiden Aufnahmen sehr breit erzählt, beim LSO der Schluss noch zusätzlich verbreitert. Am besten gelingen Horenstein in beiden Aufnahmen der Anfang des Kopfsatzes, der ruhig musiziert wird, die Trompeten kommen aus weiter Ferne, und dann der langsame Satz, in Wien klingt die „störende“ Oboe traurig, in London keck.

Dimitri Mitropoulos

Die Verbreitung der Sinfonien Gustav Mahlers war ihm zeitlebens ein Anliegen, sein letztes Konzert war die Aufführung der 3. Sinfonie beim WDR in Köln. Die erste Schallplattenaufnahme der 1. Sinfonie verdanken wir auch diesem charismatischen Dirigenten, sie fand 1940 mit dem Minneapolis Symphony Orchestra statt. Die Musiker des Orchesters waren, trotz optimaler Vorbereitung, nervös, da sie seit den Tagen Eugen Ormandys, Mitropoulos‘ Vorgänger, nicht mehr vor Mikrophonen gespielt hatten. Das informative Booklet der Sony-CD berichtet auch, dass der Fernzug nach Chicago erst weiterfahren durfte, nachdem eine bestimmte leise Stelle „im Kasten“ war. Nach zwei Stunden Aufnahmetätigkeit wurde auch der Dirigent nervös, da die Aufnahmen nicht seinen hohen Erwartungen genügten. Nach intensiven Anstrengungen gelang nun doch eine herausragende Leistung. Trotz vorheriger Bedenken verkauften sich die Schellacks glänzend, noch besser die später angefertigten LPs. Mitropoulos war ein detailbesessener Interpret, der jedoch nicht das Große und Ganze aus den Augen verlor. Das Klangbild der Aufnahme ist für die damalige Zeit hinreichend durchsichtig. Die unteren Lautstärkewerte konnten jedoch aus aufnahmetechnischen Gründen nicht erreicht werden, trotzdem erklingen die Trompeten wie aus weiter Ferne. Im Scherzo lässt Mitropoulos den Hauptteil derb aufspielen, alles klingt sehr bewegt. Im ruhiger genommenen Trio gelingt es ihm, die verschiedenen Ebenen der Musik gut herauszuarbeiten. Der langsame Satz, er gefällt mir hier am besten, zeigt ein gelöstes Spiel des Orchesters. Die Parodie bei Ziff. 6 kommt bestens zur Geltung. Im Finale hebt der Dirigent die grellen Passagen hervor, dabei klingen die hohen Bläser auch etwas schrill. Gleichwohl schenkt er den lyrischen Abschnitten seine volle Aufmerksamkeit. Insgesamt gesehen kann die CD auch heute noch erfreuen.

Paul Kletzki

Der polnisch gebürtige Dirigent hat Mahlers 1. zweimal für Columbia eingespielt, 1954 mit dem Israel Philharmonic Orchestra und dann 1961 mit den Wiener Philharmonikern. Diese Aufnahme ist der früheren vorzuziehen, hier wird deutlicher gespielt, die Themen und Motive heben sich besser voneinander ab, die Melodien gehen nicht im Tutti verloren. Das Scherzo wird 1961 derber als früher gebracht und bringt im Trio viel mehr Duft ein als 1954. Wenn dort die parodistische Kapelle bei Ziff. 6 und Ziff. 15 noch wenig störend klingt, kommt in Wien der Kontrast besser heraus. Das Finale lässt Kletzki in beiden Aufnahmen mit Vehemenz und Kraft überzeugend vortragen, wobei die Qualitätsunterschiede zwischen den Orchestern, wenn auch gering, nicht zu überhören sind. Die 1954er Aufnahme klingt präsent, jedoch für Mahler zu kompakt. Die Wiener Produktion weist ein aufgehelltes Klangbild auf, wodurch die Musik an Deutlichkeit gewinnt. Hingewiesen sei nochmals auf den Strich im Finale.

Georg Solti

Seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts ist für Schallplattenhörer die Verbindung Gustav Mahler mit Georg Solti eine feste Größe. Die ersten kommerziellen Aufnahmen entstanden mit dem Londoner Sinfonie-Orchester Nr. 1-4. Danach wurde die Serie zu einer Gesamtaufnahme mit dem Chicago Symphony Orchestra ausgeweitet, wobei die ersten vier Sinfonien nochmals mit diesem Orchester eingespielt wurden, zuletzt die 1. digital 1983. Vom rein Klanglichen gesehen muss man sie von allen Solti-Einspielungen an die Spitze stellen, vom künstlerischen Standpunkt jedoch ist dies nicht gerechtfertigt. Hier wird zwar sehr sorgfältig musiziert, alles ist blitzsauber gelungen, leider jedoch auch etwas starr, das zeigt sich in den ersten Minuten des Beginns aber auch gerade im Finale, wo sich der Klang vor die Musik zu drängen scheint. Besser gefällt mir da die Londoner Einspielung, die fast 20 Jahre zuvor entstand. Auch sie wurde bei ihrem Erscheinen zu Recht als klanglich hervorragende Aufnahme gerühmt. Die Trompeten klingen auch da schon zu Beginn wirklich wie aus weiter Ferne. Jedoch gelingt es Solti nicht, wie auch beim etwas später mitgeschnittenen Salzburger Konzert und bei der erwähnten CD mit dem CSO, im ersten Satz einen Spannungsbogen aufzubauen. Solti sorgt überall für einen geordneten Ablauf, aber mir stellt sich die Frage, ob er sich in den Weiten des Kopfsatzes, abgesehen vom schnellerem Schluss, bei den vielen „gemächlich“-, „ nicht eilen“-Stellen auch wohlgefühlt hat? Anders dirigierte Solti den Kopfsatz 1957 in einem Konzert mit dem Kölner Rundfunk Sinfonie-Orchester, vorgelegt von Archipel. Hier hört man Mahlers Musik bewegter und zum Schluss legt er so richtig los. Die Orchesterkultur reicht nicht an die der kommerziellen Aufnahmen heran, braucht sich allerdings nicht zu verstecken. Dass Solti dem 1. Flötisten die nicht deutlich punktierten 16tel in den Takten 7 und 10 Nach Ziff. 12 hat durchgehen lassen, ist nur der Konzertaufführung geschuldet. Die Dynamik ist vor allem im unteren Bereich nicht so differenziert. Das Scherzo erklingt bäuerlich derb, aufgekratzt, das Trio nicht ganz so gemächlich wie vorgesehen, dafür kommt der Tanzcharakter besser heraus. Bei allen anderen Einspielungen lässt Solti etwas gepflegter, vornehmer aufspielen, vielleicht auch differenzierter. Beim Trauermarsch werden Soltis Tempi von Aufnahme zu Aufnahme langsamer. War es 1957 noch ein vorwärts strebender Marsch, so legt sich der Dirigent später Zurückhaltung auf, leiser, der Charakter des Schreitens geht fast verloren.

Auch bei den Tanzeinlagen bei Ziff. 5 und 6 setzt Solti auf Kontrast, die beiden Trompeten hinterlassen hier einen etwas vulgären, aufdringlichen, fremdländischen Ausdruck. Davon wendet sich Solti später ab, die Trompeten sind domestiziert, bei den WP fast nicht zu hören. Das Parodistische bei Ziff. 6 kommt nicht heraus. Auch beim Finale stelle ich die Kölner Aufnahme an die Spitze: stürmisch bewegt, ursprünglich frisch – Solti liegt immer auf der Lauer – die langsamen Partien werden molto espressivo genommen. Nur ganz am Schluss scheint das Orchester gerade noch das Ziel zu erreichen, da hat das LSO die Nase vorn. Zuletzt noch ein paar Worte zum Salzburger Mitschnitt. Soltis Konzept ähnelt sehr dem des LSO, leider können die klanglichen Verhältnisse kaum befriedigen: das Klangbild ist viel weniger gestaffelt, die gerade in dieser Sinfonie so wichtigen Hörner scheinen für die Mikrophone einen ungünstigen Platz zugeteilt bekommen zu haben und werden sehr oft von den Trompeten überflügelt, alles klingt weniger deutlich. Meine Empfehlung geht zuerst an die Kölner Aufnahme, danach, wenn es eine Studio-Produktion sein soll, an die mit dem LSO.

Rafael Kubelik

Etwa zeitgleich mit Bernstein entwickelte sich mit Kubelik eine Gesamtaufnahme der Sinfonien von Gustav Mahler bei der DGG. Beim Gelbe-Etikett waren es die ersten Mahler-Sinfonien nach dem Krieg überhaupt. Kubelik jedoch hatte schon 1954 die 1. mit den Wiener Philharmonikern bei Decca herausgebracht. Diese Aufnahme kann kaum mit Kubeliks folgenden, aufgrund ihres stumpfen, etwas flachen und nicht genügend transparenten Klangbildes konkurrieren. Sie wirkt auf mich wie eine Schwarz-Weiß-Aufnahme. Sachliches Musizieren herrscht hier vor, das Scherzo ist etwas zu schwerfällig, des Trio besser getroffen. Mahlers Collagentechnik, die hier im langsamen Satz zum ersten Mal ausgebreitet wird, wird von Kubelik nicht in ihrer Besonderheit vorgestellt. All das hat sich in seiner folgenden Studioproduktion zum Positiven geändert. Es ist fast ein anderer Mahler, der uns hier begegnet. Das Klangbild ist viel transparenter und farbiger geworden, auch eine Errungenschaft der Stereo-Technik. Kubelik bietet eine vitale Interpretation in den Ecksätzen, das Scherzo trägt hier einen weniger grimmigen als einen freundlichen Ausdruck, Ländler und Walzer scheinen jedoch ein und dasselbe zu sein, dass bessert sich erst in seiner letzten Aufnahme. Sehr gut gefällt mir der langsame Satz, bei Ziff. 5 kommentieren die Trompeten recht „bissig“ den Gesang der Oboen, hervorragend!, auch bei Ziff. 6 stört die Combo frech den Verlauf. Bei Ziff. 15-16 wird die Musik richtig ausgelassen, da ist nichts mehr von einem Trauermarsch übrig. Das Finale ist meist vorwärts drängend gespielt, weist aber auch einen ausdrucksvollen Seitensatz auf. In seiner letzten Aufnahme, zwölf Jahre später im Münchner Herkules-Saal mitgeschnitten, zeigt sich eine ähnliche Musizierhaltung, leider ist sie etwas weniger vital und auch in den beiden letzten Sätzen langsamer ausgefallen. Das Scherzo ist mir zu breit genommen, die Besonderheiten des langsamen Satzes sind jedoch wieder zurückgefahren, lediglich die Combo darf noch frecher/schneller dareinspielen. Das Klangbild hat ein wenig mehr Tiefenstaffelung, ist an einigen Stellen jedoch weniger transparent.

Kyrill Kondraschin

Beim aufgeführten Mitschnitt des NDR Sinfonie-Orchesters aus dem Amsterdamer Concertgebouw sprang Kondraschin für den plötzlich erkrankten Chefdirigenten Klaus Tennstedt ein, womöglich gab es nur eine Verständigungsprobe, das würde den geringen künstlerischen Ertrag, trotz guter Orchesterleistung, erklären, man spielte eben auf „Nummer sicher“. Kondraschin starb noch am selben Abend in seinem Hotelzimmer an den Folgen eines Herzinfarktes. Die Studioproduktion des Dirigenten von Mahlers 1. mit seinen Moskauer Philharmonikern kenne ich leider nicht.

Carlo Maria Giulini

Giulini hat in der Mahler-Diskrografie nur wenige Spuren hinterlassen, vor allem die Aufnahme der 9. mit dem Chicago Symphony Orchestra von 1977 (DGG) wird auch heute noch zu den gültigsten Einspielungen dieses Werkes gezählt. Die Aufnahme der 1.Sinfonie mit demselben Orchester entstand sechs Jahre früher für EMI. Sie hinterlässt nicht ganz so einen starken Eindruck, gleichwohl muss man sie im oberen Bereich einreihen. Der 1. Satz beginnt noch nicht so leise wie von Mahler gewünscht, trotz langsamen Tempos versteht es der Dirigent, die Musik unterschwellig bewegt zu halten, so bleibt ihr eine gewisse Lebendigkeit. Das Scherzo wird gemächlich ausformuliert, das Trio hebt sich gut ab. Der langsame Satz wird nicht schleppend musiziert, Giulini achtet immer auf deutliche Kanoneinsätze, insgesamt könnte er noch etwas leiser sein. Die Tanzmusikeinlage bei Ziff. 6 könnte noch mehr nach Parodie klingen. Das Finale wird mit viel Nachdruck gegeben, das Seitenthema pastos ausgemalt. Auch am Schluss hat das famose Orchester noch Reserven, Giulini verkneift es sich jedoch, den Satz als Rausschmeißer enden zu lassen. Fünf Jahre nach dieser Studio-Produktion führte der italienische Maestro Mahlers 1. mit den Berliner Philharmonikern in der dortigen Philharmonie auf, der Rundfunkmitschnitt wurde 2011 von Testament herausgebracht. Gleich der Beginn lässt aufhorchen: da antworten Flöte, Englischhorn und Bassklarinette in T. 5 deutlich auf das fallende Quartmotiv der Piccoloflöte, Oboe und Klarinette von T. 3, so aufmerksam hört man das selten, meist erklingen die Motive unverbunden hintereinander. Giulini lässt die Musik wie schon auf der Plattenaufnahme deutlich ausformulieren, jedoch wird in allen Sätzen ein wenig langsamer musiziert. Die Interpretation des Scherzos ist der früheren sehr ähnlich. Beim langsamen Satz beginnen Pauke und Kontrabass nun sehr leise, insgesamt wird ganz entspannt musiziert. Leider hört man bei Ziff. 6 die große Trommel kaum, damit kann sich das „hum-ta“ zusammen mit dem Becken nicht einstellen. Das Finale kommt breit ausladend mit dem nötigen Nachdruck daher, manchmal auch etwas schleppend. Bei Ziff. 6 wird weniger energisch wie gewünscht gespielt, gut gelingt die Musik zwischen Ziff. 12 und 14. Das Seitenthema wird ruhig und ausdrucksvoll gesponnen, das Finale breit ausgeformt.

Leonard Bernstein

Bernsteins Verdienst besteht darin, in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Mahlers Musik aus ihrem langen Dornröschenschlaf erweckt zu haben. Was Bruno Walter und Bernsteins Lehrer Dimitri Mitropoulos trotz unermüdlichen Einsatzes nicht schafften, gelang dem charismatischen Komponisten und Dirigenten. Sehr hilfreich in der dauerhaften Etablierung von Mahlers Kompositionen war die Stereo-Technik bei der Schallplattenindustrie, die jetzt ihre Kinderschuhe abgestreift hatte. Als Pioniertat ist Bernsteins erste Gesamtaufnahme der Sinfonien anzusehen, die CDs haben nichts von ihrer Bedeutung verloren, auch wenn der Dirigent in seiner späteren Aufnahmeserie, gereift durch den steten Umgang mit den Partituren, hier und da andere Akzente gesetzt und unterschiedliche Tempi gewählt hat. In beiden Aufnahmen beginnt er den Kopfsatz anfangs sehr ruhig und langsam, die Trompeten kommen aus ganz weiter Ferne. Leider geht er mit dem Tempo etwas frei um, die Takte ohne Holzbläser nimmt Bernstein schneller als die mit. In der älteren Aufnahme wählt er ab Ziff. 4 ein merklich schnelleres Grundtempo, obwohl die Partitur notiert: „immer sehr gemächlich“, beim Amsterdamer Mitschnitt bleibt er beim vorigen Tempo und wird erst später schneller. Im Allegroteil lässt Bernstein übermütig auftrumpfen, die New Yorker CD klingt da jedoch noch etwas uneinheitlich, auch ist das Klangbild dort noch nicht optimal transparent. Nebenbei sei noch angemerkt, dass beim Concertgebouw Orkest die Hörner 4 vor Ziff. 2 zu spät einsetzen. Das Scherzo klingt in beiden Aufnahmen zu tapsig, gebremst, warum vor Ziff. 21 schneller? Der Trauermarsch klingt dazu im Gegensatz etwas zu schnell, ein Kontrast zum vorigen Satz will sich da nicht einstellen. Bei der DGG-CD hebt sich das ungarisch-slawische „Volkslied“ bei Ziff. 5 nicht gut von der folgenden parodistischen Kapelle bei Ziff. 6 ab, das gelang damals in New York besser. Auch das Wunderhornzitat „Auf der Straße steht ein Lindenbaum“ klingt mir in beiden Aufnahmen zu zurückhaltend. Der mit Abstand überzeugendste Satz ist das Finale, da bleiben kaum Wünsche offen.

Klaus Tennstedt

Besonders in der angelsächsischen Welt hatte sich der Dirigent einen Namen als Mahler-Interpret erworben. Mit dem London Philharmonic Orchestra, dessen Chefdirigent er zeitweilig war, legte er einen kompletten Zyklus aller Sinfonien vor. Nach der „Lektüre“ der 1. habe ich folgenden Eindruck von Tennstedts Mahler-Sicht gewonnen: die lyrischen Partien hinterlassen bei mir einen stärkeren Eindruck als die bewegten Abschnitte. Seine Tempi sind ausgesprochen moderat, in der Live-Aufnahme mit dem Chicagoer Sinfonie-Orchester sogar teilweise schleppend. Kein Wunder, wenn Spannungsbögen nicht immer gehalten werden. Tennstedt richtet immer seinen Blick auf Details der Instrumentierung, so lässt sich die Partitur sehr gut verfolgen. Bei Live-Aufnahmen stellt sich immer wieder auch die Frage nach der Lautstärkedifferenzierung, Mahler verlangt ja sehr oft pp und ppp, das lässt sich im Konzertsaal je nach Akustik nicht immer realisieren ohne Klanglöcher zu riskieren, von daher fällt die Chicagoer Aufnahme leicht ab. Positiv fällt das schön geformte Trio im Scherzo ins Ohr, man spürt, dass es für Tennstedt eine Herzensangelegenheit war. Das Scherzo selbst erklingt ein wenig domestiziert, nicht grimmig, in Chicago (zu) gemächlich. Im langsamen Satz vermisse ich das Gespür für die Parodie bei Ziff. 6. Das marschmäßige Hauptthema im 4. Satz erklingt mir zu fest, auch hier schenkt er dem Seitenthema wieder seine besondere Aufmerksamkeit. Beim LPO holt Tennstedt die Violinen zu sehr nach vorn, der Ausbruch bei Ziff. 34 hat in dieser Aufnahme keine richtige Wirkung, der Schluss des Satzes ist sehr laut, jedoch nicht triumphal. Beim CSO kommen die „scharf abgerissenen Akkorde“(Mahler) wenig scharf, die Aufnahme ist insgesamt lauter als die frühere, aber auch deutlich langsamer, schwerfälliger. Da stellt sich wieder einmal der Sinn nach Live-Mitschnitten.

Christoph von Dohnanyi

Der Dirigent nimmt sich viel Zeit für die langen ruhigen Abschnitte im 1. Satz. Sein künstlerisches Gewissen verbietet es ihm, Mahlers ausgebreitete Ruhe zu stören. Er liegt nicht quasi auf der Lauer und wartet auf den Moment, um endlich die Musik lärmend auftrumpfen zu lassen. Dohnanyi widersteht der Versuchung, Mahlers Partituranweisungen, die eher als Ermahnungen für die Dirigenten zu verstehen sind, nicht genügend ernst zu nehmen.

Bernard Haitink

Der holländische Maestro hat Mahlers 1. bereits 1962, also noch vor Bernstein, eingespielt, als Auftakt einer Gesamtaufnahme. Der Kopfsatz wird sehr ruhig, schleppend, streng, bei geringerer Spannung, genommen, diese baut sich erst bei Partiturziff. 16 auf. Das Klangbild hält Haitink immer sehr transparent. Das Trio des 2. Satzes verfügt über viel Atmosphäre. Der Marschcharakter geht im folgenden Satz nicht verloren, das ungarisch-slawische Volkslied kommt jedoch nur wie nebenbei, auch die Tanzcombo bleibt viel zu zahm. Mit mäßigem Tempo und geringerem Ausdruck geht es im 4. Satz dem Ende zu, da passiert eigentlich nichts mehr. Die hier und da gelobte Berliner Einspielung von 1987 kann mich noch weniger überzeugen. Sicher, sie verfügt aufgrund der Digitaltechnik über den besseren Klang, der Anfang ist ganz leise, die Trompeten erklingen nun aus weiter Ferne. Aber einige Ungereimtheiten erschrecken doch: Gleich der Beginn wird nicht im Tempo gespielt, 4 Takte vor Ziff. 2 setzen die Hörner nicht mit dem vierten Kuckucksruf der Klarinetten, sondern nach diesem ein, außerdem spielt die Flöte 7 nach Ziff. 13 rhythmisch nicht egal! Das sollte bei einer Studio-Aufnahme einem Weltklasseorchester mit einem Maestro eigentlich nicht passieren! Dafür gibt es ja auch noch einen Aufnahmeleiter, der mitlesen soll! Das Scherzo wird weicher als beim COA gespielt (Großstadtscherzo?), das Trio klingt mehr etwas distanzierter. Der Trauermarsch samt Einlagen wird noch zahmer gespielt als früher und klingt wenig überzeugend. Das Finale schleppt sich ohne rechtes Feuer dahin, am Schluss mehr erschöpft als triumphierend.

Claudio Abbado

Mahlers Sinfonien waren bisher ein fester Bestandteil von Abbados Konzertprogrammen, fast alle wurden mehrmals meist von der DGG auf Platten festgehalten. Hier stehen drei Aufnahmen der 1. zur Diskussion. Die erste entstand 1981 mit dem Chicago Symphony Orchestra, das sich nicht nur beim italienischen Maestro als großer Aktivposten bei Mahler erwies. Die LP gehörte zum Startprogramm der Platten mit digitaler Aufnahmetechnik der DGG und erschien zwei Jahre später auch im Startprogramm der Compact Discs. Die neue Technik erlaubte erstmals Mahlers Dynamikvorschriften auf Schallplatten noch besser wiederzugeben, Abbado nutzt sie erfolgreich nicht nur beim langsamen Beginn des ersten Satzes, sondern auch an weiteren Stellen im Verlaufe der Sinfonie. Im Ganzen gesehen setzt Abbado die Vortragsbezeichnungen des Komponisten ziemlich penibel um. Der 1. Satz wird sehr ruhig angegangen, die Musik kommt fast wie gefroren aus den Lautsprechern, ohne jedoch auf Spannung zu verzichten, die Trompeten kommen tatsächlich aus ganz weiter Ferne. Erst ab Ziff. 16 wird es schneller, wie von M. gewünscht, der Satz endet mit einem ausgelassen gespielten Finale. Im Trio des 2. Satzes wird der Ländler (sehr zart) deutlich vom Walzer (etwas kräftiger) unterschieden. Der Trauermarsch-Kanon bleibt wie verlangt immer leise, fast wie hinter einem Schleier, die Parodie bei Ziff. 6 erklingt jedoch zu vornehm, kein „hum-ta“, auch vermisse ich klanglich die hier so wichtige Große Trommel, auch Klarinetten und Fagotte geben nicht das erforderliche Kolorit, das Finale bleibt im Rahmen des bereits genannten. Der Mitschnitt aus der Berliner Philharmonie mutet fast wie eine Kopie der vorigen Aufnahme an, die Laufzeiten der einzelnen Sätze sind ziemlich dieselben. Interpretatorisch sind kaum Abweichungen zu verzeichnen, das Scherzo ist nun etwas ausgelassener. Positiv schlägt das etwas breitere Klangbild zu Buche, die Aufnahme besitzt nun mehr Körper. Beim Mitschnitt von den Luzerner Festwochen 2009, Soundtrack der DVD, erlebt der Hörer nun einen noch runderen Klang, der im unteren Dynamikbereich nicht alle Wünsche erfüllt, jedoch näher an seinen Ohren positioniert ist. Der Kopfsatz ist bei geringfügig langsamerem Tempo bewegt, das Cello formuliert beim Thema „Ging heut morgen..“ deutlich auch den zweiten Teil aus, der meist etwas unterbelichtet klingt, da uns Mahler auch schon etwas anderes mitteilen möchte. Vor Ziff. 16 fühlte ich mich an die Satzüberschrift aus Mahlers 3. Sinfonie erinnert: „Pan erwacht“. Das Scherzo wird hier derber gespielt, der Ländler kommt nicht mehr so zart, jedoch vom Walzer abgehoben. Der Trauermarsch wird etwas lauter gespielt, mit größerer Deutlichkeit der einzelnen Instrumente. Die Parodie wird nun von Abbado verstanden und realisiert, auch bei Ziff. 7 spielt das Orchester nun vitaler, eindeutig ein interpretatorischer Gewinn. Auch das Finale kann mich noch mehr überzeugen.


Seiji Ozawa

Ozawas Interpretationen von Mahlers Erstling lassen in keiner Weise aufhorchen, die Musik wird solide abgewickelt, das Exzessive der Partitur wird selten berührt, das technische Niveau jedoch steht außer Frage. Die Philips-Aufnahme, zehn Jahre nach der der DGG entstanden, profitiert selbstredend von dem besseren Klangbild. Beide Aufnahmen sind sich interpretatorisch sehr ähnlich, der Beginn des Kopfsatzes ist ziemlich spannungslos, das bessert sich erst beim Thema „Ging heut morgen..“, ab Ziff. 28 geht es ausgelassen bis zum Finale, der Triangel bei Ziff. 18 bleibt im Verborgenen. Das Scherzo wird rustikal gespielt, 1987 noch etwas schneller, das Trio bleibt 1977 im philharmonischen Wohlklang hängen, das macht Ozawa später besser, insgesamt hätte ich es mir jedoch etwas ruhiger gewünscht. Dem langsamen Satz fehlt einfach die Doppelbödigkeit, die Musik ist nur schön, sie genügt sich selbst, die intendierte Parodie bei Ziff. 6 entfällt. Im Finalsatz hält sich gleich zu Anfang das Stürmische in Grenzen, auch bei Ziff. 6 bewegt sich die Musik kaum energisch, in den schnellen Partien fehlt das Vorwärtsdrängende, am Schluss sehnt man sich als Zuhörer das Ende herbei. In der Philips-Aufnahme ist eine Intonations-Unschärfe bei Ziff. 54 nicht korrigiert worden, sie passt aber gut zu der zerrissenen Musik.

Zubin Mehta

Der als Mahler-Dirigent viel Anerkennung erfahrene Zubin Mehta ist hier mit zwei Aufnahmen vertreten, die mich beide weniger zufriedenstellen. Bei der Decca-CD (Israel OP) nimmt der Dirigent Mahlers Anweisungen in Bezug auf Tempo und Dynamik kaum ernst, das fällt vor allem im Kopfsatz auf, danach bessert es sich nach und nach. Auffallend sind auch seine prallen, bombastischen Tutti-Akkorde mit herausstechenden Pauken, übrigens in beiden Aufnahmen. Dieses Getöse müsste noch mehr differenziert sein. Insgesamt scheint mir diese Darstellung doch recht einförmig. Zumindest das spieltechnisch bessere Orchester mit einer höheren Klangkultur sind die New Yorker, aber auch Mehta hat an seiner Interpretation gefeilt: Agogik und Dynamik sind nun eher im Sinne der Partitur, das fällt sofort am Anfang des Kopfsatzes auf. Auch der 2. Satz hat nun mehr Kontur, Celli und Kontrabässe könnten zu Beginn jedoch etwas lockerer spielen. Im langsamen Satz ist die Parodie bei Ziff. 6 etwas zu zahm, das kommt in der früheren Aufnahme besser heraus. Im Finale sind die Geigen beim Seitenthema (Ziff. 41 u. 42) in beiden Interpretationen wenig ausdrucksvoll.

Für die Überlassung weiterer Aufnahmen möchte ich einem Leser meiner Web-Seiten meinen besten Dank aussprechen.



eingestellt am 10. 11. 12

ergänzt am 14. 05. 15



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