Das Klassik-Prisma

 

 Bernd Stremmel

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Gustav Mahler – 4. Sinfonie G-Dur  

 

Bedächtig – In gemächlicher Bewegung. Ohne Hast – Ruhevoll – Sehr behaglich

 

Mahlers 4. Sinfonie entstand in den Jahren 1899/1900, ihre Uraufführung erfolgte ein Jahr später in München. Wie bei (fast) allen seinen Sinfonien erfolgte vor der Drucklegung noch eine Überarbeitung. Nach der Uraufführung äußerte der Komponist gegenüber der Geigerin und Vertrauten Nathalie Bauer-Lechner: „Der erste [Satz] fängt doch gleich charakteristisch genug mit der Schellenkappe an“ [1], es ist also die mit Schellen besetzte Narrenkappe gemeint. Außer am Beginn setzt Mahler die Schellenklänge an weiteren, für die Sinfonie charakteristischen Stellen, ein, besonders deutlich im Finalsatz, immer dann, wenn die Sängerin einfühlsam, choralartig begleitet, „…St. Peter…, die Englein..., St. Martha…“ gesungen hat. Unmittelbar danach setzt das Orchester in einem viel schnelleren Tempo mit grellen, lärmenden Klängen spottend ein, deutlich meint man ein teuflisches Lachen zu vernehmen: „Ha ha, ist doch nicht so gemeint“!  In der letzten Strophe wird die himmlische Musik besungen:

 

Die englische Stimmen ermuntern die Sinnen, daß alles für Freuden erwacht!

 

Wer genau hinhört, dem wird die Diskrepanz zwischen Text/Gesang und der tatsächlichen musikalischen Verarbeitung nicht verborgen bleiben: die Musik bewegt sich dann nicht zu freudigen Höhen, sondern verlangsamt sich, wandert in die Tiefe des Orchesters und zerfällt. Besser lässt sich ihre Doppelbödigkeit nicht vor Ohren führen.

Theodor W. Adorno urteilte: Ein Meisterwerk wie die vierte Sinfonie ist ein Als-Ob von der ersten bis zur letzten Note“. [2], nichts sei so gemeint, wie es an der Oberfläche aussieht. Die romantische Schönheit mancher Stellen scheint nur eine Inszenierung zu sein, hinter der die wahren Gedanken des Komponisten verborgen sind. Man kann also von einem doppelten Boden ausgehen: Auf der Oberfläche das Geschriebene, darunter verborgen das Gemeinte. Der Mahler-Biograph Jens Malte Fischer schreibt „es ist ein Werk der Uneigentlichkeit, der Ironie, die das Schmerzhafte, ja Schreckenerregende genauso einschließt wie das Kindhaft-Naive. Die Vierte träumt sich in eine Kindheit zurück, der man nachtrauern muß, der aber nicht mehr zu trauen ist. Die himmlischen Freuden des letzten Satzes wollte Mahler ja von einer möglichst jugendlich-kindlichen Stimme gesungen haben.“ [3]

Dies möge dem Leser als eine kurzgefasste Einleitung dienen, ihn aber ermuntern, sein(e) CD-Booklet(s) zu lesen, sowie, falls vorhanden, weitere Quellen heranzuziehen, die Näheres zu Mahlers Vierter mitteilen können.

 

Hinweise zu den vier Sätzen:

Nach der dreitaktigen Einleitung beginnt im ersten Satz das Hauptthema, das wiederum mit drei Gedanken arbeitet: zunächst die Melodie der Geigen, wie ein Lied mit Gitarrenbegleitung, die hier von Streichern übernommen wird. Dann ab Takt 7 eine  punktierte aufsteigende, kurz danach wieder fallende, Melodie der Bratschen und Bässe, die sich mit einem charakteristischen (Pralltriller) Hornmotiv, das an allen Ecken zitiert wird, ablöst. Die erwähnte Geigenmelodie wird anfangs und auch später mehrmals mit einem deutlichen Ritardando eingeleitet. Nicht jedoch T. 17/18, obwohl es einige Dirigenten so verstehen, wie Jordan, Bernstein-60 und Abbado-BP. Bei diesem zweiten Erscheinen lässt Mahler sie in Engführung (Violine-Cello) spielen, einen Takt später (20) bringt er mit einer kurzen wiegenden Melodie gespielt von Klarinette und Fagott bereits einen Vorgriff auf die Schlussgruppe T. 91 ff., in der sie diesen Abschnitt beherrscht. Reiner, Haitink, Ozawa, Jansons und Ivan Fischer machen darauf aufmerksam. Ziemlich am Ende der Durchführung nach der Katastrophe T. 221-204 nimmt Mahler, gespielt von Trompeten und Hörnern, das Klopfmotiv vom Beginn der folgenden 5. Sinfonie voraus (T 225-230), was ihn wahrscheinlich schon damals beschäftigte. Wenige Takte später unterbricht er die Musik mittels einer unvermittelt eintretenden Pause und beginnt danach die Reprise, aber nicht wie anfangs, sondern entsprechend Takt 20 ff., d. h. auf die ersten Takte wird verzichtet.

 

Im zweiten Satz, Scherzo, fügt Mahler dem Instrumentarium eine Solo-Geige zu, die einen Ton höher gestimmt wird und immer stark hervortreten soll, so erinnert es an einen Totentanz. Mahler äußerte sich dementsprechend: Freund Hein spielt zum Tanz auf. Leider verzichten einige Dirigenten darauf dieses Grelle, dieses Abgehobene und Verstörende der Litanei-artig heruntergespielten Takte in ihren Interpretationen herauszustellen. Wichtig scheint mir auch der Hinweis, dass besonders die ersten Takte profiliert und nicht lustlos, geschäftsmäßig erklingen, und damit auch ein Kontrast zum vergangenen Satz erreicht wird. Eine Aufführung kann zur Langeweile führen, wenn zu sehr ziseliert, zu trocken musiziert und die große Linie übersehen wird, die Gefahr besteht bei Klemperer. Beim Hören fällt mir immer der zweite Satz von Bartoks Konzert für Orchester ein, überschrieben mit Giuoco delle coppie, hat sich der Ungar hier Anregungen geholt? Zwei Trios bringen Ruhe in dieses „weltliche Getümmel“ mit zum Teil mehreren gleichzeitig erklingenden Melodiebausteinen. Am Ende des ersten Trios schleicht sich die Musik fort, Mahler schreibt dort den Streichern ein fünffaches und ein vierfaches Piano in ihre Noten (T.106 f.).

 

Der folgende dritte Satz beginnt mit einem leisen, molto cantabile zu spielenden Cellothema, dem sich in Takt 17 ein zweites Thema für die zweiten Geigen gesellt. Mahler bezeichnete die Cellostimme mit pp, die gleichzeitige fortlaufende Kommentierung der Kontrabässe, später auch Celli, mittels kurzer Pizzicati jedoch nur mit p, für den Dirigenten ein Hinweis, der Schönheit der Cellomelodie nicht zu sehr zu vertrauen, sie ist immer gefährdet, die Pizzicati sind mit gleicher Aufmerksamkeit zu behandeln (siehe Doppelbödigkeit oben). Mit dem Takt 62 beginnt ein zweiter Abschnitt zunächst mit einer klagenden Melodie, viel langsamer vermerkt hier die Partitur. Eigentlich ist diese Anweisung paradox, da Mahler im Folgenden kürzere Noten einsetzt. Nicht wenige Dirigenten werden nach dem ersten klagenden Oboen-Takt zusätzlich wieder schneller, ein paar Takte später verlangt der Komponist dann Nicht schleppen, das liest sich wie eine Absolution.

 

In diesem Satz führt Mahler die Musik zu mehreren Höhepunkten, die vor der Klimax jedoch wieder abgebrochen werden, so zum ersten Mal bei Takt 75. Hier schreibt der Komponist für die aufeinander folgenden Hornmotive für das erste Horn ein p vor, für das tiefere zweite ein ff, wissend, dass das tiefere schwerer zu spielen ist, aber auch ein Hinweis darauf, dass das zweite nicht leiser erklingen darf, wie es meist zu hören ist. Am besten gelingt diese Stelle Harding, gefolgt von Klemperer, Kletzki, Solti, Sinopoli, Herreweghe und Manacorda. Ähnlich verhält es sich am zweiten anvisierten Höhepunkt, hier übernehmen die Kontrabässe das Motiv der Hörner, jetzt sogar fff, was selten an die Ohren der Hörer dringt. Das wiederholt sich nochmals in Takt 211. Nach dem vorletzten, erneut missglückten, Gipfel mit ihrer ausdrucksvollen Klage aller vier Hörner scheint die Musik ihrem Ende entgegen zu gehen, zwei Hörner, unterstützt zunächst von Fagotten, danach von Bratschen, steigen langsam molto espressivo in die Höhe (T. 296 ff.) und werden von den Streichern in Takt 302 ganz sachte (ppp) aufgefangen, die Melodie wandert von den Hörnern/Bratschen zu den Streichern, die Instrumente in höchster Lage zu spielen. Hier zeigt sich eindringlich die Klangkultur eines Orchesters, der Hornspieler und Streicher, aber auch die besondere Aufmerksamkeit des Dirigenten, nicht in allen Aufnahmen klingt sie so berührend wie von Mahler gedacht. Um diese kompositorische Wunder erleben zu können, sollte der Zuhörer für ein paar Sekunden den Atem anhalten und sich ganz auf die Musik konzentrieren. Wenige Takte später erweist sich dieses Schauspiel als ein „als ob“, dort, wo es niemand vermutet, reist der Komponist den Vorhang herunter, überrascht und überwältigt zugleich den Hörer: Vorwärts, Poco piu mosso steht über den Takten 315 (mit Auftakt) bis 317, die Musik scheint zu explodieren, die Spieler haben ihr Letztes zu geben bei dieser gewaltigen Entladung. Im lauten Abgesang intonieren schon alle vier Hörner unisono den Beginn des vierten Satzes (T. 320). Zwischen den beiden Auftaktnoten und dem eigentlichen Höhepunkt verlangt der Komponist ein kurzes Atemholen, eine Luftpause, auffallend und merkwürdig zugleich ist, dass ältere Dirigenten, teils noch aus Mahlers Umfeld, auf dieses knappe Innehalten verzichten, nämlich Mengelberg, Walter-CSO, Klemperer-POL, Krips, Solti sowie Kempe.

 

Ein Lied am Ende eines reinen Instrumentalwerkes war und ist ungewöhnlich, im vierten Satz verwendet Mahler nochmals ein Lied aus der Sammlung Des Knaben Wunderhorn, es ist „Das himmlische Leben“, und wurde bereits 1892 komponiert und war ursprünglich als siebter Satz seiner 3. Sinfonie vorgesehen. Mahler erwartet, dass die Sängerin ihren Part mit kindlich heiterem Ausdruck: durchaus ohne Parodie vorträgt. Ein opernhaftes Singen unter Einsatz von Vibrato verbietet sich hier, woran eine Anzahl der vorgestellten Aufnahmen scheitern. Der Text erinnert in naiver Weise an frühgotische Fresken, die den ungebildeten Menschen die Darstellung des Paradieses vor Augen führen sollen, in der die Nöte des Lebens gewichen sind und die ein sorgenloses Leben im Himmel verheißen. In der mittelalterlichen Darstellung dürfen naturalistische Bilder nicht fehlen, das Essen und Trinken mit allem was dazu gehört wird deutlich vorgeführt. So untermalt Mahler das Schlachten des Lämmleins und eines Ochsen mit drastischen Lauten, da fragt man sich allerdings, ob dies mit dem Bild des Paradieses zu vereinbaren ist. Der Satz schließt nicht optimistisch, wie man es vom Text her erwarten könnte, sondern führt zum ungewissen Ende, morendo. Erstaunen setzt sich beim vergleichenden Hören ein, wenn die meisten Dirigenten die leisen und langen Noten nach St. Peter…, die Englein..., St. Martha nicht auszählen sondern verkürzen obwohl Mahler zusätzlich noch Ritardando verlangt. Ich meine, dass mit längeren Tönen die Überraschung beim folgenden Orcherstereinsatz noch viel stärker wird.

 

Mahler hat sein Orchester gegenüber den vorhergehenden Sinfonien abgespeckt, es fehlen jedoch Posaunen und die Tuba. Demgegenüber werden die vier Hörner, besonders jedoch das Solo-Horn in besonderem Maße gefordert.

 

[1] mitgeteilt von Jens Malte Fischer: Gustav MahlerDer fremde Vertraute, Wien 2003, S. 412 als Zitat von  Herbert Killian (Hg.): Gustav Mahler in den Erinnerungen von Nathalie Bauer-Lechner, Hamburg 1984

[2] Theodor W. Adorno: Wiener Rede. in: Gustav Mahler, Tübingen 1963

[3] Fischer, wie 1

 

Hier nun die Aufnahmen:

 

   

5

Christoph von Dohnanyi

Dawn Upshaw

Cleveland Orchestra

Decca

1992

56‘54

 

überzeugende Umsetzung der Partitur, mit artikulatorischer Feinarbeit (Glissandi, Schlagwerk), Mahlers dynamische Vorstellungen umgesetzt, sehr gute Balance und Transparenz, I artistische Leichtigkeit, II Dirigent übersieht nicht das Skurrile der Musik, versucht als einer der wenigen in T. 106 ff. das verlangte ppppp und pppp zu erreichen, III immer gespannte Ruhe, IV Solistin mit Akzent und Vibrato, nicht immer natürlich gesungen, Begleitung könnte hier und da diskreter sein, Takte 39 und 74 zu kurz

5

Daniel Harding

Dorothea Röschmann

Mahler Chamber Orchestra

Virgin

2004

57‘52

 

Harding hat ein Gespür für diese Musik, immer schlankes, lebendiges sowie absolut sauberes Musizieren, Verzicht auf Vibrato, sehr gute dynamische Differenzierung, piano-Kultur sondergleichen, immer transparentes Klangbild, differenziert eingesetztes Schlagwerk, II das Burleske gut herausgearbeitet, Glissandi, Harfe T. 36/38/40 zu leise, wienerisches Flair im 2. Trio, III mit langem Atem musiziert, Orchester bleibt in den ersten Minuten weitgehend im pp-Bereich, Kontrabässe nicht lauter als Melodie, IV sehr stimmungsvoll, Sängerin eingeschlossen, die hier eine überzeugende Leistung ablegt, die sie in ihrer späteren Aufnahme mit Jansons so nicht wieder erreicht, Harding bleibt nach den drei Choral-artigen Abschnitten ziemlich im Metrum – es könnte Hörer geben, der diese Interpretation als zu perfekt erscheint

5

George Szell

Judith Raskin

Cleveland Orchestra

CBS         Sony

1965

57‘38

 

I weniger locker als Reiner, stattdessen etwas herber im Ausdruck, Kontraste stärker hervorgehoben, z. B. gestopftes Horn, II Solo-Violine kommt besser heraus als in anderen Aufnahmen, III ruhevoll, IV deutliche Kontraste, überzeugende Solistin

5

Herbert Kegel

Celestina Casapietra

Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig

Eterna                      Berlin Classics

1977/78

55‘57

 

detailreiche Interpretation, I Trompeten-Stelle T. 224-235 sehr deutlich und spannend, sonst fast nirgends so überzeugend, mit spürbarer Leidenschaft, III mit großer Anteilnahme und Ausdruckskraft, IV stimmungsvoll, T. 39 ohne Ritardando

5

Bruno Walter

Hilde Güden

Wiener Philharmoniker

DGG

1955

53‘54

 

live, ▼

5

Kurt Sanderling

Felicity Lott

BBC Northern Symphony Orchestra

BBCL

1978

54‘34

 

insgesamt hellwache Interpretation, überzeugende Leistung, sehr gute Transparenz, I An- und Abschwellen vorbildhaft, Glockenspiel T. 210-220 zu leise, II in den Takten 254 ff. Geigen immer leise, um den Klarinetten und Fagotten den Vortritt zu lassen, das spielt kaum einer so, III ausdrucksstark, leidenschaftlich, IV überzeugend

5

Jascha Horenstein

Margaret Price

London Philharmonic Orchestra

EMI

1970

59‘25

 

I in mäßiger Bewegung, Satzcharaktere durch intensive Wiedergabe, nicht durch deutliches Tempo voneinander unterschieden, gute Transparenz, II die einzelnen Abschnitte wollen nicht zusammenpassen, es klingt (gewollt) disparat, Solist spielt wie ein Stehgeiger, III zurückhaltend, Balance nicht immer wie gewünscht, IV langsam, T. 39 und T. 112 zu kurz, Solistin teilweise instrumentales Singen, jedoch mit Anteilnahme

5

Eduard van Beinum

Margaret Ritchie

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Decca   Magdalen u. a.

1952

51‘49

 

I insgesamt sehr lebendig, zupackend, auch drastisch, musikantisch, Dialog zwischen Flöte und Fagott T. 132 ff. herausgestellt, II Solo-Violine etwas zurückhaltend, III intensiv gestaltet, Phrasierungen der Violinen T 145 ff. nicht immer nach Mahlers Vorstellungen, IV insgesamt kontrastreich – leicht kompakter Klang, jedoch gute Transparenz, Dynamik im p-Bereich nicht ausgeschöpft

5

Karel Šenja

Maria Tauberova

Tschechische Philharmonie Prag

Supraphon

1950

51‘51

 

I insgesamt frisches Tempo mit guten Tempokontrasten, abwechslungsreiche Gestaltung, II deutliches Musizieren, Wiener Einschlag T 254 ff. überzeugt, III nie schleppend, Hörner eher zurückhaltend, man fühlt sich wie in freier Natur, IV hinreichende Textverständlichkeit, Portamenti bei „Leben“ (T. 26/30), bei „Schlachten“ und „achten“ (T. 67/69) wünschte man sich eine drastischer klingende Begleitung – für die Zeit der Aufnahme hervorragende Transparenz, aufmerksame Umsetzung der Partitur

5

Jonathan Nott

Mojca Erdmann

Bamberger Symphoniker

Tudor

2006

55‘16

 

Nott identifiziert sich mit der Partitur, Mahlers sprechende Tempi umgesetzt, kammermusikalische Abschnitte durchleuchtet, II das Burleske der Musik herausgestellt, wienerisches Intermezzo in Trio 2 nicht vergessen, III mit viel Klangsinn, Kontrabässe in T. 90 tatsächlich fff, Nott nimmt die Takte 269-285 unter einen Bogen, setzt nicht T. 271 neu an, IV Solistin mit Vibrato, im Timbre nicht so glockenhell, T. 39 und T. 75 zu kurz, T. 112 ohne Ritardando – sehr gute dynamische Differenzierung, Balance und Transparenz

5

Giuseppe Sinopoli

Juliane Banse

Sächsische Staatskapelle Dresden

hännsler

1999

61‘45

 

live – konzentrierte Darstellung, Sinopoli hat eine Auge für die Brüche der Partitur, für das Nebeneinander von Schönem, Verstörendem, Tragischem und Hässlichen, ganz im Sinne der Partitur, III Pizzicati der Bässe könnten noch etwas lauter hervortreten, IV T. 39 und T. 75 zu kurz, sehr langsam ab T. 122 bis zum Schluss, Solistin hält da gut mit

5

Michael Gielen

Christine Whittlesey

SWF Sinfonie-Orchester Baden-Baden

SWR music

1988

56‘21

 

Partitur-getreue Darstellung, schlanke Gestaltung mit weitgehendem Verzicht auf Pathos, inspiriert, klare Artikulation, beleuchtet alle Facetten des Werkes, aufmerksame Umsetzung der Dynamik, sehr gute Balance und Transparenz, II wünschte man sich etwas schneller, III schlanke Pizzicati der Kontrabässe, ruhevoll, flexible Tempi, Solistin bei langen Tönen Vibrato, T. 39 zu kurz

5

Bernard Haitink

Sylvia McNair

Berliner Philharmoniker

Philips

1992

58‘26

 

5

Bernard Haitink

Christine Schäfer

Concertgebouw Orchester Amsterdam

RCO live

2006

54‘41

 

live, ▼

5

Claudio Abbado

Frederica von Stade

Wiener Philharmoniker

DGG

1977

58‘03

 

5

Claudio Abbado

Renée Fleming

Berliner Philharmoniker

DGG

2005

54‘55

 

live, ▼

 

 

 

4-5

Bruno Walter

Annelies Kupper

Städtisches Museums- und Opernhausorchester Frankfurt

Tahra

1950

51‘59

 

live, ▼

4-5

Bruno Walter

Elisabeth Schwarzkopf

Concertgebouw Orchester Amsterdam

M&A

1952

53‘23

 

live, ▼

4-5

Bruno Walter

Desi Halban

New York Philharmonic Orchestra

CBS     Sony

1945

49‘53

 

4-5

Otto Klemperer

Elisabeth Schwarzkopf

Philharmonia Orchestra London

EMI

1961

54‘51

 

4-5

Otto Klemperer

Teresa Stich-Randall

Wiener Symphoniker

Testament

1955

52‘27

 

live, ▼

4-5

Otto Klemperer

Elfriede Trötschel

RIAS Symphonie- Orchester Berlin

audite

1956

52‘48

live, ▼

4-5

Fritz Reiner

Lisa della Casa

Chicago Symphony Orchestra

RCA

1958

53‘18

 

I bei aller Konzentration doch entspannt, insgesamt straffe Darstellung, Orchester immer geschmeidig, II Solo-Geige nicht aufsässig hervortretend, schöne Pizzicati der Bässe, Sonderstellung des Horns hervorgehoben, III nicht schleppend, Schönklang geht vor Struktur, erinnert stellenweise an R. Strauss, IV schlicht, disziplinierter Gesang, ausdrucksvoll – gute Transparenz

4-5

Hartmut Haenchen

Alexandra Coku

Niederländisches Philharmonisches Orchester

Delta

1991

55‘19

 

die unterschiedlichen Seiten der Komposition gut herausgearbeitet, deutliches Musizieren, sehr gute Transparenz, I deutliches Schlagwerk auf dem Höhepunkt T. 209-223, II sehr abwechslungsreich, erstes Horn wenn gewünscht präsent, III emotionsgeladene Kraft, T. 238 ff. tänzerisch, IV stimmungsvoll, jedoch Sängerin stellenweise bedrängt, T. 39 ohne Ritardando – Haenchen hat eine gute Hand für die immer wieder wechselnden Tempi, im Großen und Ganzen sachliche Interpretation

4-5

Antonello Manacorda

Anna Larsson

Het Gelders Orkest

Challenge

2013

59‘52

 

I Verzicht auf Vibrato, immer Blick auf Details, T. 36/37 sowie 77/78 wienerischer Tonfall, artikulatorische Feinarbeit, breite Ausdrucksskala, sehr gute Transparenz in den Takten 125-141, nirgends so durchsichtig wie hier, Schlussgruppe sehr langsam und stimmungsvoll, II dynamische Staffelung weitgehend nach Partitur, vorbildliche Umsetzung der T. 254 ff., III insgesamt eher objektiv als emotional beteiligt IV kein natürliches Singen, zu viel Vibrato, Solistin macht zu viel, T. 39 zu kurz – bis auf den Schlusssatz hervorragende Interpretation,

4-5

Georg Solti

Sylvia Stahlman

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Decca

1961

53‘59

 

4-5

Georg Solti

Kri te Kanawa

Chicago Symphony Orchestra

Decca

1983

54‘32

 

4-5

Roger Norrington

Anu Komsi

SWR Sinfonie-Orchester Stuttgart

hänssler

2005

51‘56

 

live, Verzicht auf Vibrato, I Norrington nimmt die mit fließend bezeichneten Abschnitte schneller als üblich, immer sehr deutlich, eine gemütliche Stimmung lässt N. nicht aufkommen, immer bewegt, dramatisch, II hier eine der schnellsten Interpretationen des 2. Satzes, Burleske, Glissandi, III ohne Vibrato klingt die Musik asketischer, bewegt, Horn deckt Englischhorn T. 199-201 zu, IV angenehmer Gesang, ziemlich gute Textverständlichkeit – Norrington deutet Mahlers 4. als Kindertotenlied und begründet es im Booklet, eine interessante Deutung

4-5

Zdeněc Mácal

Michaela Kaune

Tschechische Philharmonie Prag

Exton

2006

56‘24

 

I deutliches Musizieren, markante Akzente; Mácal unterstützt Mahlers Vorgehen, die Komposition in Abschnitte zu gliedern, als größere Zusammenhänge zu schaffen, mehr als andere Interpreten, II immer deutliche Solo-Geige, III Thema und Pizzicato-Begleitung der Kontrabässe im richtigen Verhältnis, abwechslungsreich, viel Spannung, gelungener Übergang von Hörnern zu Streichern T. 302/303, An- und Abschwellen der Bläser in T. 324/325 sehr gut, IV T. 39 zu kurz, T. 112 ohne Ritardando, Solistin: etwas künstlich vorgetragen – farbiges, breitgefächertes Klangbild, mit sehr guter Transparenz

4-5

Riccardo Chailly

Barbara Bonney

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Decca

1999

58‘08

 

I teils überdeutliches Musizieren, geht auch auf Kosten des Tempos, könnte auch als pedantisch gewertet werden, sehr deutliche Einsätze, glasklares Klangbild, sehr gute Transparenz, II die Sätze 1 und 2 unterscheiden sich nur durch ihr thematisches Material, III immer gespannt, IV Solistin bei langem Tönen mit Vibrato, nicht immer idiomatisches Deutsch

4-5

Michael Tilson Thomas

Laura Claycomb

San Francisco Symphony Orchestra

Eigenlabel des SF

2003

62‘15

 

I aufmerksame Umsetzung des Notentextes, mit Hingabe, mit viel Klanggespür, sehr gute Transparenz, Schlussgruppe sehr langsam und ausdrucksvoll, II Spieler der Solo-Geige hält sich zurück, nicht überdreht, III sich viel Zeit lassend, Pizzicati der Kontrabässe mehr fett als fokussiert klingend (passt eher zu Karajan als zu Mahler), IV ansprechendes Singen, T. 112 ohne Ritardando – Klang besitzt im Tutti weniger Transparenz als bei Spitzenaufnahmen

4-5

Leopold Ludwig

Anny Schlemm

Staatskapelle Dresden

Eterna          Heliodor  Berlin Classics

1957

50‘44

 

I entspanntes aber auch sehr deutliches Musizieren, z. B. Basslinie T. 226 ff. die  meistens überspielt wird, III gefällt am besten – immer transparentes Klangbild, trotz aller Vorzüge jedoch etwas nüchtern objektiv

4-5

Eugen Szenkár

Christiane Sorell

Düsseldorfer Symphoniker

archiphon

1960

58‘30

 

live – Dokument eines einst bedeutenden Mahler-Dirigenten. Mahlers vielschichtige Konstruktion und ihre Stimmführungen herausgearbeitet, spannungsvoll, überzeugende Dynamik, Orchester spielt weniger geschmeidig als Spitzenensembles, insgesamt etwas holzschnittartig, offenes Klangbild, bemerkenswerte Sängerin, IV Takte 39, 75 und 124 zu kurz

4-5

Bernard Haitink

Elly Ameling

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Philips

1967

53‘22

 

4-5

Rudolf Kempe

Joan Alexander

BBC Symphony Orchestra

Ica classics

1957

52‘47

 

eine der wenigen Mahler-Aufnahmen mit Kempe – I an der Partitur entlang, ohne besondere Akzente, lebendige werkdienliche Interpretation, II Kempe hebt das Vielschichtige und Disparate der Partitur hervor, III Streicher weniger stark als bei Spitzenorchestern, Geigen T. 27-29 etwas fahrig, sonst jedoch spannungsvolles Spiel, Übergang Horn/Violine T. 302/303 nicht aufeinander bezogen, IV im Vergleich sehr belebte Darstellung, T. 39 zu kurz, Sopran etwas sachlich – Dynamik im p-Bereich nicht ausgeschöpft, etwas kompakter Klang, jedoch noch hinreichend präsent

4-5

Karl Rankl

Sena Jurinac

Wiener Symphoniker

Guild

1954

53‘23

 

live – I das Derbe und Grelle nicht überspielt, andererseits aber auch ganz zart, den Kern der Musik treffend, II Solo-Geige immer deutlich, Balance nicht immer top, III immer bewegt, nicht oberflächlich, beim Höhepunkt Pegel herabgestuft, IV Jurinac mit leichtem Vibrato – der heute kaum noch bekannte Rankl steht noch in der Tradition eines Walters, Mengelbergs und Klemperers, Orchester keine A-Klasse

4-5

Seiji Ozawa

Kiri te Kanawa

Boston Symphony Orchestra

Philips

1987

54‘24

 

I Ozawa bleibt auch im größten Getümmel noch immer locker, Transparenz an den Höhepunkten nicht top, überzeugendes Trompetensolo T. 232-234, II bester Satz, nuancenreich, con spirito, in den Trios wienerischer Tonfall, Harfe T. 36, 38 und 40 zu leise, III hier wünschte man sich im p-Bereich eine intensivere Differenzierung, IV Solistin besser als bei Solti, bei schnellen Tönen verminderte Textverständlichkeit, T. 39 sowie T. 111-114 zu kurz

4-5

James Levine

Judith Blegen

Chicago Symphony Orchestra

RCA

1975

57‘32

 

I daseinsfreudige Grundstimmung, Lust am Drastischen, Grellen, Derben spürbar, Streicher mit breitem Pinsel bevorzugt, II Solo-Geige immer präsent, im Ausdruck so wie es sich Mahler gewünscht hat, man wird hie und da an R. Strauss erinnert, III Pizzicati der Bässe zu sehr im Hintergrund, Romantik beschwörend, in großen Bögen, fast immer nur eine führende Stimme, auch drastischer Ausdruck, IV Orchester im Bezug auf die Solistin nicht immer zurückhaltend, diese in den schnellen Passagen nicht immer textverständlich, die Takte 39, 75 und 114 lässt Levine zu kurz spielen – sehr gute Dynamik, erfreuliche Klangfarbenstaffelung

 

 

  4

Eliahu Inbal

Helen Donath

Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt

Denon

1985

56‘16

 

uneinheitliche Interpretation – I gute Umsetzung der Partitur; schlankes, sehr durchsichtiges Musizieren; Holzbläser jedoch weniger aggressiv, II Solo-Geige etwas zurückhaltend, Scherzoabschnitte und Trios gut voneinander abgesetzt, jedoch geringere Spannung, III Anfang in zweitaktige Abschnitte gegliedert, Kontrabässe zu leise, nur beiläufig, deutliche Einsätze im Variationsteil, Klarinetten T. 239-302 ohne Imagination, sehr gutes p-Spiel, IV Donath eine der besten Interpreten der Wunderhornverse, T. 39 ohne Ritardando

    4

Paul Kletzki

Emmy Loose

Philharmonia Orchestra London

EMI

1957

55‘17

 

qualitativer Gegensatz zwischen den ersten und den letzten beiden Sätzen - I  überzeugende Tempi, Mahlers dynamische Vorschriften genau umgesetzt, Gewichtung der einzelnen Instrumente untereinander und Stimmführungen jedoch nicht immer überzeugend, mehr Mischklang, II weniger Biss, Solo-Geige wenig agressiv, III Tempokontraste herausgearbeitet, insgesamt ziemlich überzeugend, auch IV, hier im Takt 39 kein Ritardando, T. 75 zu kurz

    4

Leonard Bernstein

Helmut Wittek

Concertgebouw Orchester Amsterdam

DGG

1987

57‘00

 

live, ▼

    4

Leonard Bernstein

Reri Christ

New York Philharmonic Orchestra

CBS    Sony

1960

54‘58

 

    4

Willem van Otterloo

Teresa Stich-Randall

Residenz Orchester Den Haag

Philips Challenge

1956

52‘35

 

musikantischer Ansatz, auch leidenschaftlich, stellenweise grell, derb, ohne Feinzeichner, kompakter Klang, teils herabgesetzte Transparenz, voluminöse Kontrabässe, IV Orchester bedrängt anfangs die Sängerin, T. 39 ohne Ritardando, T. 75 und T. 114 zu kurz

    4

Willem Mengelberg

Jo Vincent

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Philips       MCPS  u. a.

1939

56‘07

 

live - I agogische Freiheiten, die heute als übertrieben empfunden werden, mit Empathie musizert, II dynamische Differenzierung nicht top, immer wieder Rubati, III etwas zurückhaltend, Höhepunkt technisch gebremst, IV T. 35 „Sankt..“ kommt erst zu Beginn des folgenden Taktes im Anschluss an die Flöten, entsprechend auch T. 105, die Takte 122-124 wenig deutlich, Harfe insgesamt zu leise – für die Zeit der Aufnahme präsenter Klang

    4

Rafael Kubelik

Elsie Morison

Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks

DGG

1968

51‘45

 

I Durchführung zu zahm, Trompetensolo T. 231-234 überspielt, stellenweise beherrschen die Streicher den Klang, II Solo-Geige wie gewünscht verfremdet, hebt sich vom Orchester ab, Kubelik versucht das ppppp und pppp (T. 106 ff.) der Streicher, III insgesamt romantische Darstellung, die kaum von Brüchen und Verzerrungen gestört wird, Pizzicati der Bässe zu sehr im Hintergrund, IV fließendes Tempo, Solistin nicht immer mit idiomatischem Deutsch, Verkürzung der Takte 39, 74 und 114

    4

Ivan Fischer

Miah Persson

Budapest Festival Orchestra

Challenge

2008

56‘22

 

I insgesamt bewegte Darstellung, mehrmals Kopplung von Crescendo mit Accelerando, Schlussgruppe T. 91 ff. sehr langsam und mit Ritardando eingeleitet, II freies Tempo, lebendige Darstellung, III Stimmführungen nicht immer deutlich, Pizzicati der Kontrabässe etwas zu leise, auch bei den fff-Einwürfen T. 90/91 und 211/212, viel Atmosphäre T. 296 ff., IV Solistin ohne idiomatische Aussprache, bei langen Noten mit Vibrato, T. 39 zu kurz

    4

Philippe Herreweghe

Rosemary Joshua

Orchestre des Champs-Elysées

PHI

2010

53‘11

 

I Verzicht auf Vibrato, sehr gute Transparenz, meistens lebendiges und bewegtes Musizieren, das Behagliche kommt etwas zu kurz, II Solo-Geige etwas zurückhaltend, Trios zu hurtig, deshalb geringere Spannung, Harfe T. 36/38/40 zu leise, IV Sängerin mit zu viel Vibrato, gekünstelter Gesang, T. 111/112 zu kurz, Harfe T. 122 ff. zu leise – Herreweghe nimmt der Sinfonie etwas von ihrer Monumentalität, ohne auf Leidenschaft zu verzichten, Serenaden-Einschlag

    4

Esa-Pekka Salonen

Barbara Hendricks

Los Angeles Philharmonic Orchestra

Sony

1992

57‘51

 

I Tempoänderungen ohne Absicherung im Notentext, ff-Stellen der Holzbläser T. 161-166 nur mf, geschöntes Klangbild, sehr gute Transparenz, II Klarinette T. 90 wenig frech, Scherzo-Trio-Abschnitte gut voneinander abgesetzt, viele Tempomodifikationen, III anfangs sehr leise und langsam, Pizzicati der Kontrabässe verschwinden fast, ihre fff-Einwürfe T. 90/91 und 211/212 nur mf, an lauten Tutti-Stellen zu Streicher-beherrscht, IV Solistin ohne idiomatisches Deutsch, T. 39 zu kurz, T. 112 ohne Ritardando, Harfe ab T. 122 zu sehr im Hintergrund

    4

Vaclav Neumann

Pamela Coburn

Tschechische Philharmonie Prag

Canyon

1993

57‘00

 

I zurückhaltend, objektiv, subtil gestaltete Übergänge, gute dynamische Staffelung auch im p-Bereich, klanglich dicht an ff-Stellen, II Harfe T. 36/38/40 zu leise, in den Scherzo-Abschnitten, vermisst man etwas Schwung, ohne letzte Hingabe, III Balance nicht immer top, T. 25 ff. Streicher lauter als Oboe, deutliches fff der Kontrabässe, ausdrucksmäßig, abgesehen von den Höhepunkten, etwas zurückhaltend, erfüllter Übergang Hörner/Streicher T. 302/303, IV kein idiomatisches Deutsch, viel Vibrato, Ritardando T. 114 zu kurz, stimmungsvolles Finale ab T. 122

    4

Mariss Jansons

Dorothea Röschmann

Concertgebouw Orchester Amsterdam

RCO live

2015

55‘43

 

I meistens entspanntes Musizieren, auch bei den Höhepunkten, stellenweise auch beschwingt, I gute Balance T. 126 ff., ff-Einwürfe der Bläser allerdings etwas zahm, Glissandi, II wienerischer Einschlag im 2. Trio geweckt, III Höhepunkt mit wenig Nachdruck, ohne das mahlerische „außer sich sein“ (T. 210 ff. und T. 277 ff.), IV Solistin mit (zu) viel Vibrato und gewollt klingendem Vortrag, T. 39 und T. 112-114 ohne Ritardando – live-Klang, etwas kompakt, abgesehen von den Höhepunkten

    4

John Barbirolli

Heather Harper

BBC Symphony Orchestra

BBCL

1967

58‘14

 

live Prag, I zu gemächlich, weniger Spannung, präsente Harfe, II wenig Tempokontrast zu Satz 1, Solo-Geige zu zahm, Musik tritt etwas auf der Stelle, III Interpretation wie ausgewechselt, abwechslungsreich, ausdrucksstark, Oboe T. 25-30 mit Vibrato, IV sich Zeit lassend, letzte Strophe sehr langsam, Solistin mit Vibrato, die Takte 39, 75 und 114 zu kurz

    4

Zubin Mehta

Barbara Hendricks

Israel Philharmonic Orchestra

Decca

1979

57‘02

 

I dynamisch wenig differenziert, kaum pp, Ritardando bei T. 76 bereits früher,  Schlussgruppe T. 91 ff. in wienerischem Gewand, II das Grelle, Überzeichnete der Solo-Geige gut vermittelt, III an den Höhepunkten die große Geste ausspielend, T. 288 ff. tänzerisch, der Aufbau T. 296-306 könnte überzeugender sein, IV die jeweiligen Anfangstakte nach den Zwischenspielen T. 40, 76 und 115 zu laut, etwas hervortretende Harfe T. 122 bis zum Schluss im Sinne Mahlers

    4

Emil Tabakov

Lyudmila Hadzhieva

Sofia Philharmonic Orchestra

Capriccio

1980

56‘15

 

I insgesamt sorgfältige Darstellung, der es etwas an Spannung fehlt, in T. 126-141 Flöten zu sehr bevorzugt, die ff-Einwürfe der Holzbläser zu sanft, II Mahlers „Ohne Hast“ zu wörtlich genommen, Klang der gestopften Hörner kommt kaum heraus, III bester Satz, deutliches fff der Hörner T. 90 und T. 211, IV Solistin mit Vibrato, ohne idiomatisches Deutsch, T. 39 zu kurz – sehr helles Klangbild

    4

Armin Jordan

Edith Wiens

Orchestre de la Suisse Romande

Erato

1991

55‘47

 

I immer differenzierte Dynamik, engagierte Leistung, farbiger und opulenter Klang, tiefe Streicher klingen etwas aufgeplustert, II Jordan bringt die Musik stellenweise in Richtung Richard Strauss, III die große Linie nachzeichnend, p-Bereich nicht ausgeschöpft, T. 210 ff. mit wenig Nachdruck, IV T. 39 ohne Ritardando, die Takte 75 und 112-114 zu kurz, nicht immer ausgeglichenes Singen – Orchester nicht immer auf höchstem Niveau

 

3-4

Pierre Boulez

Juliane Banse

Cleveland Orchestra

DGG

1998

53‘23


     

Keine Doppelbödigkeit entdeckt, I alles sehr genau, verzärtelt, (fast) immer nur schön, wenig Leidenschaft, II gezähmte Solo-Geige, nicht wie Mahler fordert: sehr zufahrend, oder gar leidenschaftlich. Boulez stimmt das Hohelied der Orchesterartistik an, III Pizzicati der Kontrabässe zur sehr im Hintergrund, Musik anfangs wie unwirklich, ohne Leidenschaft, T. 107 ff. Pizzicati der Bässe zu leise, Übergang von Hörnern zu hohen Geigen T. 302/03 nicht vollzogen, Grandioso-Höhepunkt T. 315 ff. steht im luftleeren Raum, IV Solistin bei langen Tönen mit Vibrato, folgt Boulez und singt fast immer im selben Tonfall, T. 39 und T.114 zu kurz

3-4

Hans Rosbaud

Eva Maria Rogner

SWF Sinfonie-Orchester Baden-Baden

SWR-Aufnahme  Archipel

1959

53‘46

 

live – Rosbaud scheut sich noch, das Überzeichnete darzustellen, gestopfte (+) Hornstellen nicht als Akzente hörbar, I Lautstärke weniger differenziert, eher romantischer als differenzierter Klang, darunter leiden auch die Höhepunkte, II Solo-Geige in der von Mahler gedachten ungewöhnlichen Art, Klang weniger transparent als gewohnt, z. B. Fagott soll in den Takten 257-259 ff spielen, hier ragt es nicht hervor, III Pizzicati der Bässe immer zu leise, Allegro subito T. 263 ff. kommt kaum plötzlich, den folgenden Höhepunkt hat die Technik durch Kappung des Aufnahmepegels abgewürgt, am Satzende spielt die Harfe nicht im Takt, IV natürliches Singen, lange Töne mit Vibrato, T. 114 zu kurz

3-4

Herbert von Karajan

Edith Mathis

Berliner Philharmoniker

DGG

1979

60‘05

 

I insgesamt etwas gezogenes Tempo, Klang geschlossener als etwa bei Reiner oder Szell, man wünschte sich die Bläser etwas direkter, leider Primat der Streicher, besonders der Geigen, zu schöner Mahler, Glockenspiel T. 209 ff. wie nur nebenbei, II zu schön, wenig spritzig, III nur die Noten, so schön wie möglich, keine Zwischentöne, nichts Derbes, Englischhorn T. 199-201 von Streichern verdeckt, IV hier überzeugender, T. 39, 75 und 114 keine ganzen Noten, Klang mit smufato angereichert – Musik auf Schönheit reduziert

3-4

Gary Bertini

Lucia Popp

Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester

EMI

1987

58‘31

 

I aufgekratzt, scharfe Klanglichkeit, derb, Celloeinsatz T. 38 zu laut (p!), Glockenspiel T. 213 ff. geht unter, Trompetenstelle T. 224-235 sehr deutlich, II Dynamik recht frei genommen, Gegensätze auf kleinstem Raum nicht herausgearbeitet, das Gegensätzliche wird meist zusammengedacht, Solo-Geige wenig agressiv, III warum die Takte 2 und 4 langsamer?, T. 131 ff. espressivo, jedoch nicht lauter zu spielen, Dynamik einerseits nach Partitur, andererseits auch wieder recht frei, IV Solistin anfangs nicht immer textverständlich, immer Vibrato, T. 143 nicht sauber

3-4

James Conlon

Soile Isokoski

Gürzenichorchester Köln

EMI

1993

57‘56

 

I insgesamt etwas fest musiziert, die Kontrabässe wünschte man sich etwas schlanker, Ritardando T. 76 beginnt schon eher, T. 90-100 weniger transparent, Pauke beginnt T. 142 nicht deutlich, Trompete T. 232-234 überzeugend, II Solo-Geige zu zurückhaltend, Conlon lässt die Musik zu sehr laufen, III den ersten Abschnitt wünschte sich Mahler immer leise, insgesamt geringere Spannung, IV ein Qualitätssprung: Solistin sehr nahe bei Mahler, überzeugend; Harfe zu leise

3-4

Klaus Tennstedt

Lucia Popp

London Philharmonic Orchestra

EMI

1982

54‘20

 

I dynamische=kompositorische Brüche werden als Übergänge umgeformt, Seitenthema T. 38 ff  zu laut, Bassklarinette fehlt T. 127 ff., II zahme Solo-Geige, nichts „Zufahrendes“, eine der schnellsten Aufnahmen des Satzes, III in den ersten Takten sollen die Pizzicati der Kontrabässe etwas lauter spielen als die melodieführenden Celli, hier ist es umgekehrt, wahrscheinlich deshalb, da die Melodie so schön ist, IV Solistin in den letzten Takten zu viel Vibrato, T. 39 ohne Ritardando – effekthaschende Interpretation, es fehlt das „als ob“

3-4

Yannik Nézet-Séguin

Karina Gauvin

Orchestre Métropolitan der Grand Mantréal

Atma

2003

59‘52

 

Dirigent am Beginn seiner Karriere, Partitur akribisch durchleuchtet, I jedoch zu bedächtig, schleppend, II kein Tempokontrast zu Satz 1, Trio 1 zu langsam, Trio 2 Klarinette T. 254 ff. vergessen?, Musik tritt auf der Stelle, III Dirigent misstraut den Pizzicati der Bässe, Glissandi, gelungen: Fagott lässt T. 49/50 den Faden nicht fallen, insgesamt noch nicht ausgereift, IV Solistin mit ausdrucksvollem, nicht schlichtem Vortrag, Vibrato

3-4

Josef Krips

Suzanne Danco

London Symphony Orchestra

Cameo

1957

60‘09

 

Krips nivelliert die Tempi (in allen Sätzen) zugunsten eines Einheitstempos, einige Intonationstrübungen sowie Hornkickser, II Solo-Geige zu sehr integriert, ohne den von Mahler intendierten Klang, geringe Spannung, Fagott T. 257-259 ?, III Anfang zu laut, Pizzicati der Bässe nur Beiwerk, Krips noch in romantischer Tradition, sehr direkt, IV T. 39, 75 und 111 zu kurzm wenig Spannung, auch bei der Solistin – kompakter Klang, bei lauten Tutti-Stellen Streicher-beherrscht

   

3

Istvan Kertesz

Edith Gabry

Bamberger Symphoniker

BR Aufnahme    DGG

1971

52‘35

 

live – die große Linie nachgezeichnet, jedoch nicht immer mit letzter Sorgfalt gestaltet, Aufnahme klingt wie wenig geprobt, die bei Mahler so wichtige dynamische Differenzierung kaum gegeben, an der Oberfläche bleibend, bei lauten Tutti-Stellen Streicher-beherrscht, II Solo-Geige „zufahrend“, wie gewünscht, III Intonationsunsicherheiten, T. 55-60 erste Flöte im Gegensatz zu den anderen Holzbläsern mit viel Vibrato, Pauke T. 324/325 zu früh, IV Solistin akustisch vorgezogen, helle Stimme, T. 122-114 ohne Ritardando, schneller Satzschluss, ohne jegliches Geheimnis

3

Jewgenij Svetlanov

Natalia Gerassimova

Staatliches Sinfonie-Orchester der UdSSR

Warner

1996

60‘26

 

I gezogen, darunter leidet die Spannung, Ritardando T. 76 bereits einen Takt vorher angebahnt, zahme ff-Einsätze der Holzbläser T. 161-166, II Solo-Geige ziemlich leidenschaftslos und oft nicht hervortretend, Harfe, T.36/38/40 zu leise, deutliche Klarinette und Fagott T. 254-260, III wie ausgewechselt: Svetlanov bringt überdeutliche Glissandi der Streicher, Horn T. 218-222 etwas zurück, IV zu langsam, Sängerin mit heller, etwas schriller Stimme, ohne idiomatisches Deutsch, um ausdrucksvolles Singen bemüht, Harfe T. 122 ff. wie vorgesehen als Melodieinstrument – die einzige Mahler 4. aus der UdSSR (?)

 

 Hinweise zu Interpreten und ihren Interpretationen

 

Bruno Walter

Bruno Walter war sich seiner Bedeutung als Mahler-Vertrauter im Hinblick auf kommende Generationen bewusst und war bemüht, Mahlers Werkauffassung (aus erster Hand) zu bewahren und mittels Schallplattenaufnahmen weiterzugeben. In dieser Hinsicht sind seine Aufnahmen von großem Wert. Unter seiner Leitung liegen mir vier verschiedene Interpretationen vor, eine Studio-Aufnahme sowie drei Konzertmitschnitte, die innerhalb von zehn Jahren entstanden. Der Kopfsatz der New Yorker Studio-Produktion klingt mir etwas abgeklärt, trotzdem vermittelt er Spannung und Leidenschaft. Das Scherzo dagegen lässt Walter bewegter spielen als viele seine Kollegen. Leider erklingt die Harfe, übrigens auch in seinen Mitschnitten, etwas leise. Das ausgedehnte Adagio nimmt der Dirigent in New York deutlich schneller und drängender als später. Das gilt auch für das Finale, hier stört mich jedoch das nicht immer idiomatische Deutsch von Desi Halban, darunter leidet die Textverständlichkeit. Die Aufnahme klingt kompakt, laute Tutti-Stellen bleiben so wenig transparent. Die einige Jahre später entstandenen Konzertmitschnitte aus Frankfurt, Amsterdam und Wien haben alle ihre Stärken und Schwächen. In Frankfurt geht Walter sehr ins Detail, stellt die Tempogegensätze sowie die unterschiedlichen Lautstärkegrade (jeweils im selben Takt) heraus wie in keiner anderen seiner Aufnahmen, dabei geht Leidenschaftlichkeit nicht verloren. Die vielen Horn-Soli werden nie verdeckt, wie übrigens auch in New York und Amsterdam. Im Finalsatz könnte sich die Orchesterbegleitung zu Annelies Kuppers Gesang etwas mehr zurückhalten, wie es Mahler fordert: „äußerst diskret“. Der Concertgebouw-Mitschnitt ist gegenüber des eben genannten mit einem helleren Klangbild ausgestattet, der interessierte Hörer muss jedoch ein leichtes Hintergrundrauschen in Kauf nehmen. Die Interpretation entspricht in etwa der aus Frankfurt, das Adagio wird noch langsamer gespielt, vielleicht fällt die Stimmführung noch deutlicher aus. Elisabeth Schwarzkopf singt mehr objektiv als teilnehmend. An die Spitze der Walter-Interpretationen möchte ich den Konzertmitschnitt mit den Wiener Philharmonikern aus dem Jahre 1955 stellen. Ein großes Plus des Mitschnitts sind die Wiener Streicher, die die Aufnahme in allen Sätzen, besonders aber im Adagio, prägen. Die Zunahme von Intensität in den langsamen Abschnitten geht sicher auch auf ihr Konto. Dagegen fällt ein Fehler des Solo-Hornisten im ersten Satz (T.336) kaum ins Gewicht. Hilde Güdens Vortag der Wunderhorn-Verse ist sauber, schlicht und angenehm. Von allen Walter-Aufnahmen bietet diese CD – einst in der DGG-Jubiläumsedition „150 Jahre Wiener Philharmoniker“ zu finden – den besten Klang.

 

Otto Klemperer

Auch Klemperer war ein Mahler-Jünger, Mahlers Empfehlung öffnete dem jungen Dirigenten Tür und Tor für seine weitere Laufbahn. Er konnte sich jedoch nicht für alle Sinfonien seines Mentors begeistern, eine besondere Affinität bestand jedoch zur 4. Sinfonie, die schon bei seinem ersten Konzert 1912 in Hamburg auf dem Programmzettel stand. Besonders oft führte er sie nach dem Zweiten Weltkrieg auf, als er aus dem amerikanischen Exil nach Europa zurückgekehrt war: 1947 bei den Salzburger Festspielen, 1948 mit den Berliner Philharmonikern, 1954 beim WDR sowie in London, ein Jahr später mit den Wiener Symphonikern, 1956 mit dem RIAS Symphonie-Orchester in Berlin sowie dem Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks in München. Fünf Jahre später entstand die einzige Studio-Produktion mit dem Philharmonia Orchestra London. Diese und die Mitschnitte mit den Wiener Symphonikern sowie dem RIAS Orchester stehen hier zur Diskussion. Klemperer scheint in dieser Aufnahme sehr penibel mit den Musikern gearbeitet zu haben, das hört man an den dynamischen Schattierungen, bei der Stimmführung, kaum irgendwo wird die Engführung des ersten Themas in den T. 17 ff. zwischen der ersten Geige und dem Cello so deutlich herausgearbeitet als hier. Klemperer achtet auf höchste Transparenz, so ist die Musik immer glasklar, auf der Kehrseite stellt sich jedoch eine gewisse Starrheit ein. Im Adagio klingen die Takte 222 ff nicht ganz so wienerisch als ein Jahr zuvor bei den Wiener Symphonikern. Der Wechsel der Hörner samt Bratschen zu den Geigen (T. 302/303) ist akustisch nicht zu verfolgen. Elfriede Trötschel darf sich über eine zurückhaltende Begleitung freuen, die weder bei Teresa Stich-Randall noch Elisabeth Schwarzkopf so einfühlsam ausgefallen ist. Leider ignoriert der Dirigent das Ritardando in Takt 39 und nimmt den Takt 114 etwas zu kurz (in allen Interpretationen). Im schon erwähnten Wiener Mitschnitt wird im ersten Satz nicht so deutlich musiziert, stattdessen klingt er lebendiger, stellenweise mit einem tänzerischen Einschlag. Die Solo-Violine im Scherzo ist noch deutlicher zu vernehmen als in Berlin. Viel Leidenschaft und Spannung zeichnet das Adagio aus, die erwähnte Übergangsstelle T. 302 f. gelingt hier im Sinne der Komposition. Die Londoner Studio-Aufnahme verfügt über den besten Klang, alles hört man noch deutlicher und runder. Die beiden Trompeten-Signale im ersten Satz T. 232-234 treten nur auf dieser Platte so deutlich hervor. Dagegen begegnet dem Hörer einen integrierten Hörner-Klang, die vielen solistischen Partien treten hier (leider) etwas  zurück. Die Tempi in den Ecksätzen klingen im Vergleich zu den Konzert-Mitschnitten gebremst. Elisabeth Schwarzkopf singt etwas klarer als bei Walter, ihrem Vortrag haftet aber auch hier etwas Künstliches an.

 

Georg Solti

Bei Soltis Einspielungen fällt es mir schwer, die frühere der späteren vorzuziehen, beide haben ihre Meriten und Schwachpunkte. 1961 lässt der Hitzkopf Solti zugespitzer musizieren (Tempo, Dynamik), in der Durchführung sind nach Mahlers Vorstellung auch hässliche Klänge nicht obsolet, auch im 2. Satz beim Einsatz der Solo-Violine, in Chicago spielt sie gesitteter. Das setzt sich im dritten Satz fort: hier überzeugen die präsenten Pizzicati der Kontrabässe mehr als ihre leiseren=schöneren Nachfolger in der zweiten Aufnahme. Insgesamt bietet diese aber eine bessere dynamische Gestaltung, stellenweise auch mehr Leidenschaft und Erregung. Sylvia Stahlman bringt eine bessere Textverständlichkeit als Kiri te Kanawa, die mit Schöngesang glänzt. Klanglich ist die Chicagoer-Aufnahme der Amsterdamer überlegen, obwohl letztere schon mit einer guten Präsenz und Transparenz aufwartet.

 

Leonard Bernstein

Bernsteins Aufnahme der 4. Mahler-Sinfonie mit dem New Yorker Orchester war der Startschuss für alle Mahler-Sinfonien bei CBS, damals diskographisch eine Pioniertat, waren doch die Werke des österreichischen Komponisten keineswegs etabliert. Bernsteins Herangehensweise an die Partitur ist stark emotional geprägt, er versteht diesen  Komponisten vorwiegend als Ausdrucksmusiker, nicht als einer, der noch klassisch formalen  Kompositionsidealen verpflichtet ist, wie letztlich noch Brahms und Bruckner. Im ersten Satz bedient sich der Dirigent immer wieder ausgeprägter Rubati, vor allem in Exposition und Reprise, die Folge davon sind auch schleppende Tempi. In der Durchführung animiert ihn die Musik zu leidenschaftlichem Ausdruck, insgesamt hinterlässt dieser Satz einen uneinheitlichen Eindruck. Besser gelingt der zweite Satz, wo er das Fratzenhafte der Musik in den Scherzo-Abschnitten hervorhebt, mehr als andere Interpreten. Scherzo- und Trio-Abschnitte werden deutlich voneinander abgesetzt. Mit spannungsintensiver Beredtheit, mit Hingabe und Leidenschaft erlebt man den langsamen Satz, Höhepunkte sind hier, was könnte man anders erwarten, die großen Ausbrüche im letzten Teil, die bei ihm ein wenig an Tschaikowsky erinnern. Reri Christ kann sich mit ihrem Gesang in der Reihe ihrer Interpreten-Kolleginnen gut behaupten, Bernstein kürzt den Takt 39 ab und verzichtet auf Ritardandi in den Takten 112-114. Die Harfe wird wie vorgesehen ab T. 122 als melodietragendes Instrument eingesetzt.

Fast dreißig Jahre später führt Bernstein Mahlers Vierte in Amsterdam mit dem Concertgebouw Orchester auf, die DGG hat den Mitschnitt veröffentlicht. Das Espressivo ist jetzt zu einem molto-Espressivo mutiert und die Musik wird  im Kopfsatz noch etwas langsamer. Das Klangbild der live-Aufnahme ist weniger offen als früher, wobei die ff-Ausbrüche etwas fest, weniger transparent, klingen. Andererseits kann sich der Hörer über mehr Details, z. B. bei den Holzbläsern, freuen. Die Trios im zweiten Satz werden hier zu sehr ausgewalzt, vermitteln umgekehrt aber mehr Wärme. Eine nicht partiturgemäße Luftpause nach T. 71 ist noch zu erwähnen. Der langsame Satz wird in den Steigerungen wilder gespielt und der Höhepunkt T. 315 ff. noch mehr ausgekostet. Im Schlusssatz wählt Bernstein den Knabensopran Helmut Wittek von den Wiener Sängerknaben, ein Experiment, was sich hier keineswegs als Nachteil entpuppt. Das „Hüpfen und Singen“ nimmt man einem Jungen eher ab als einer gestandenen Sängerin. Den Orchesterpart nimmt Bernstein etwas forcierter als früher, die langen Noten T. 39, 75 und 112-114 bleiben jedoch auch hier zu kurz.

 

Bernard Haitink

Schon sehr früh in seiner Plattenkarriere beschäftigte sich Haitink mit Mahler, diese Affinität  hat sich bis heute fortgesetzt. Von der vierten Sinfonie stehen hier drei Aufnahmen zur Diskussion, zwei mit dem Concertgebouw Orchester und eine mit den Berliner Philharmonikern. Letztere lebt u. a. auch von der ekzellenten Klangkultur dieses Orchesters, die sich auch über die CD dem Hörer mitteilt. Haitink lässt sich Zeit und leuchtet in die Partitur, dabei gelingt es ihm immer wieder die Gleichzeitigkeit von Motiven und Themen nebeneinander zu stellen, ohne sie klanglich zu verschmelzen. Auch erwähnt werden muss die sehr gute dynamische Differenzierung, auch im p-Bereich, nachzuhören z. B. im Kopfsatz T. 125-141, oder das dreifache Forte der Kontrabässe im langsamen Satz T. 90. Die Pizzicati der Bässe gleich zu Beginn dieses Satzes könnten ein Quäntchen bestimmter gespielt werden. Ab T. 123 lässt er jedoch etwas lauter als vorgesehen spielen.

Im Mitschnitt aus dem Amsterdamer Concertgebouw vierzehn Jahre später lässt Haitink in alles Sätzen ein wenig schneller spielen. Der Kopfsatz wirkt etwas lebendiger, die Balance ist nicht so stark wie früher. Auch der langsame Satz ist weniger ruhig gespielt als früher. Klanglich kommt sie nicht ganz an die Berliner CD heran, sie ist etwas weniger durchsichtig, weniger scharf und besitzt eine geringere Präsenz.

Was Haitink viel später mit den Berlinern gelang, zeichnete sich bereits in seiner ersten Aufnahme mit dem Concertgebow Orchester 1967 an, u. a. das schlanke und flüssige Musizieren, oder die Durchsichtigkeit des Klanges. In dieser Aufnahme wird man Zeuge eines geradlinigen Voranschreitens, ohne Details aus den Augen zu verlieren. Im ersten Satz sind die Bläser ab T. 126 noch nicht so ausbalanciert wie später; auf dem Höhepunkt T. 263 ff. wird mehr sachlich als emotional beteiligt musiziert. Zu Beginn des langsamen Satzes gliedert er die Musik noch in zweimal zwei Takte, ohne sie leise miteinander und zum Folgenden zu verbinden. Auch gelingt der Übergang von Klarinetten zu Violinen noch nicht so subtil wie später. Was die Aufnahme jedoch wertvoll macht, ist die Mitwirkung von Elly Ameling, die mit heller Stimme und ausgeglichenem Singen, gepaart mit bester Textverständlichkeit, beglückt. Daran kommen ihre Nachfolgerinnen Sylvia McNair und Christine Schäfer nicht ganz heran, auch wenn es weniger auszusetzen gibt als bei anderen Interpretinnen. In dieser ersten Aufnahme zeigt der Dirigent bei den langen Noten nach den Choral-artigen Abschnitten mit mehr Metrum-Gefühl als später.

 

Claudio Abbado

Die beiden Produktionen der vierten Mahler-Sinfonie stehen ungefähr am Anfang und am Ende seiner diskographischen Beschäftigung mit diesem Komponisten. Beide Aufnahmen können als gelungen bezeichnet werden. In der Wiener Studio-Produktion stellt der 44-jährige Dirigent im Kopfsatz das Grelle, Verstörende mittels Lautstärkekontraste heraus. Die Wiener Philharmoniker spielen mit viel Druck und Leidenschaft, ein besonderer Blick lenkt Abbado auf das Schlagwerk bei den Höhepunkten am Ende der Durchführung, das sehr oft kompakt und wenig differenziert aus den Lautsprechern tönt. Das Disparate des Scherzos wird aufmerksam ausgebreitet, die höher gestimmte Solo-Geige macht immer auf sich aufmerksam. Den dritten Satz lässt der Dirigent sehr langsam beginnen, nicht in einem großen Bogen, sondern in Abschnitte gegliedert, das klingt dann doch etwas gezogen. Im Umgang mit dem Piano wird leider noch nicht die untere Grenze erreicht. Davon abgesehen kann diese Lesart doch überzeugen. Im Schlusssatz verfügt Abbado über eine überzeugende Solistin. Die Aufnahme besitzt eine sehr gute Transparenz und eine gute Balance bei der Gewichtung der einzelnen Stimmen. Die Neuaufnahme, ein Mitschnitt aus der Berliner Philharmonie, kommt an ihre Vorgängereinspielung heran, ohne sie jedoch zu übertreffen. Das liegt hauptsächlich am Klang, der nicht mehr so messerscharf, offen und klar aus den Lautsprechern tönt. Im zweiten Satz spielt die Harfe bei den exponierten Tönen in den Takten 36, 38 und 40 zu leise, obwohl die Partitur ff vorsieht. Besser gelingt der Anfang des langsamen Satzes, der jetzt weniger gegliedert wird, dabei setzen die Streicher etwas Vibrato ein. Insgesamt klingt dieser Satz, obwohl fast vier Minuten schneller, etwas abgeklärter als in der ersten Aufnahme. Die Sopranistin Renée Fleming kommt an die Leistung von Frederica von Stade nicht heran, dagegen spricht ihr etwas affektiertes Singen, das Mahlers Vorstellung entgegensteht.

Herzlichen Dank sagen möchte ich einigen Freunden des Klassik-Prismas, die mir freundlichst etliche Aufnahmen zur Verfügung stellten.

 

eingestellt am 15.09.2019

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