Das Klassik-Prisma

 

 Bernd Stremmel

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 Cesar Franck

 Sinfonie d-Moll op. 48

 Lento, Allegro non troppo – Allegretto – Allegro non troppo

Cesar Franck war zeitlebens hauptsächlich als Organist und Musikpädagoge bekannt, weniger als Komponist. Seine einzige Sinfonie stieß nach der Uraufführung bei Kollegen vom Pariser Konservatorium und auch bei Mitgliedern des Orchesters auf Unverständnis. Als Vorbild für jüngere Komponisten wurde sie als nicht tauglich angesehen. Allerdings war die Lust Sinfonien zu komponieren zu dieser Zeit in Frankreich nicht ausgeprägt. Aber nicht nur dort, auch in Deutschland meinten einflussreiche Komponisten nach Liszts Vorbild Sinfonien durch Sinfonische Dichtungen ersetzen zu müssen. Auch Franck versuchte sich vor seiner d-Moll-Sinfonie in diesem Genre und zwar mit den Tondichtungen Le Chasseur maudit sowie Les Eolides.  

Ähnlich wie Francks Zeitgenosse Brahms entwickelt jener in seiner d-Moll-Sinfonie die Musik aus einem Dreitonmotiv, zu Beginn des ersten Satzes zweimal zitiert. Es erinnert mich an die Muss es sein?-Frage aus Beethovens letztem Streichquartett zu Beginn des vierten Satzes, noch stärker jedoch an die Szene Wotan/Brünnhilde in Wagners „Walküre“ im 3. Akt, wo Wotan im Zorn Brünnhilde entgegenwirft: „ ...und das ich ihm in Stücken schlug!“, unmittelbar anschließend folgt zweimal das genannte Dreitonmotiv. Franck verarbeitet es verwandelt in allen drei Sätzen. Im Kopfsatz und im Finale orientiert sich der Komponist formal an der Sonatenhauptsatzform mit zwei kontrastierenden Themen. Eine Besonderheit stellt der Mittelsatz dar, der wie Brahms in seiner 2. Violinsonate op. 100 den langsamen Satz mit einem Scherzo vermischt, bei Brahms deutlich voneinander getrennt. Bei Franck erscheinen die Themen zunächst hintereinander, anschließend auch gleichzeitig. Ich wünschte mir allerdings, dass sich das thematische Material deutlicher voneinander abheben würde. In Francks Fassung könnte man auch an Variationen des Anfangsthemas denken.  

Typisch für diese Sinfonie sind kleine Intervalle – eine Quarte kann schon zu einem Ereignis werden –, die immer präsenten Engführungen, sowie die kurzen Themen, die nicht weiterentwickelt, sondern immer wieder in verschiedenen Instrumenten-Gruppen wiederholt werden, das erinnert stark an Orgel-Registrierungen, kann aber auch für den Hörer ermüdend wirken. Hier ist die Fantasie des Dirigenten gefordert. Langsame Tempi erweisen sich bei dieser Sinfonie nicht unbedingt als förderlich. Ein weiteres: Was Kompositionsstudenten sofort angekreidet wird/wurde, ist die häufige Anwendung von Oktavparallelen, besonders in Tutti-Abschnitten. Interessant festzustellen ist auch die Tatsache, dass Franck in seiner Sinfonie ein Instrument durchgehend einsetzt, dass sonst nur als Sonderinstrument im Orchester Verwendung findet: das Englischhorn.  

Im 1. Satz lässt Franck den Kulminationspunkt der Durchführung und den Beginn der Reprise zusammenfallen (T. 331 ff.), wie es Beethoven in seiner 8. Sinfonie vormachte. Im langsamen Satz (T. 32-35) erinnert Franck an den zweiten Satz von Bruckners 4. Sinfonie. Vermutlich hat sich der Komponist auch im Finalsatz an Beethovens 9. erinnert, wenn er hier die Themen des 2. und 1. Satzes wieder aufgreift und einbaut. Bei Beethoven war es nur eine Erinnerung an die vorangegangenen Sätze zu Beginn, von Franck werden sie jedoch in die musikalische Entwicklung eingebaut, wie eine Zusammenfassung aller Themen zum Schluss der Sinfonie. So beendete Anton Bruckner den letzten Satz seiner 5. Sinfonie. Außer Beethoven und Bruckner dürfen auch Wagner-Anklänge nicht fehlen: die Takte 181-185 sowie T. 236 ff. erinnern doch an „Tristan und Isolde“. Auch wenn sich Franck hier und da an vergangene und gegenwärtige Meister anlehnt, konnten diese Einflüsse dem posthumen Erfolg seiner Sinfonie allerdings nicht im Wege stehen.

Hier noch einige Hinweise zu ausgewählten Stellen:

1. Satz, Retusche: Am Ende des zweiten Lento-Abschnitts (f-Moll) (hier Takt 76, mächtiges Crescendo vor dem folgenden Allegro-Teil) lassen die Dirigenten Cluytens-65, Ormandy, Sanderling und Maazel auf der vierten Zählzeit ein von Franck nicht so vorgesehenes hohes c von der 1. Trompete spielen, im Gegensatz zum Ende des d-Moll-Abschnitts, wo für die Trompete das hohe a notiert ist (T. 28).

2. Satz, T. 46/47: Die Dirigenten Mitropoulos, Giulini und Bernstein-WP heben die Tonfolge des-c bei Flöte, Klarinette und Horn (unisono) besonders hervor, indem sie die Töne nicht verbinden, wie von Franck gewünscht, sondern ein klein wenig voneinander abheben und so den Zielton c auf Eins etwas betonen.

3. Satz, T. 98 ff.: Man gewinnt den Eindruck, dass die meisten Dirigenten mit dieser ppp-Stelle nicht viel anzufangen wissen. Da ist oft nur ein unbestimmtes Gemurmel oder Geraune zu vernehmen, nicht jedoch bei Sanderling, Cantelli, Silvestri und Plasson, sie arbeiten, wenn auch sehr leise, die Melodielinien heraus.

   

5

Dimitri Mitropoulos

Minneapolis Symphony Orchestra

Columbia  u. a.

1940

37‘48

 

I aufgewühlt, spannungsintensiv vom ersten Takt an, authentisch, immer hellwaches Musizieren, II sehr lebendig, III die innere Dramatik herausgearbeitet – bei lauten Tutti-Stellen herabgesetzte Transparenz

5

Paul Paray

Detroit Symphony Orchestra

Mercury  forgotten records

1953

35‘04

 

I flüssiges Musizieren, keine aufgesetzte Leidenschaft, sehr gute Balance, Bläser T. 119/120 und T. 125/126 etwas zu leise, II Musik bleibt immer in Bewegung, entgeht der Gefahr des Schwerfälligen, III vornehm, das Plakative überspielend

5

Pierre Monteux

Chicago Symphony Orcherstra

RCA

1961

38‘32

 

5

Constantin Silvestri

Philharmonia Orchestra London

EMI

1959

38‘30

 

Silvestri als Anwalt der Partitur, deutliches (vgl. Bläser T. 13-15 und T. 61-63) und auch organisches Musizieren, Holzbläser nicht vernachlässigt, vorbildliche dynamische Gestaltung, beste Balance und Transparenz – trockener Klang

5

Lorin Maazel

Radio-Sinfonie-Orchester Berlin

DGG

1961

36‘44

 

5

Fritz Lehmann

Bamberger Symphoniker

DGG

1954

36‘15

 

Partitur 1 zu 1 umgesetzt, ohne irgendwie akademisch zu klingen, con anima, ohne aufgesetzten Druck, nichts Waberndes, bemerkenswerte Transparenz, Klangbild im Tutti zeitbedingt flach, I genau im Metrum, III stellenweise weniger gewichtig als die meisten anderen Interpretationen – eine Musterinterpretation

5

Thomas Beecham

Orchestre National d’ORTF Paris

EMI

1959

38‘33

 

5

Willem van Otterloo

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Philips   Challenge

1964

37‘06

 

Partitur spannungsvoll umgesetzt, überzeugende Tempowahl, stimmige Dynamik, überwiegend helles Klangbild, gute Balance und Transparenz

5

Arturo Toscanini

NBC Symphony Orchestra

RCA   History

1946

37‘33

 

I im Vergleich zu Lehmann weniger durchsichtig musiziert, stattdessen jedoch gewichtiger, Höhepunkt T. 331 ff. plakativ, II mit viel Spannung, III auch hier, con anima, Toscanini bietet Franck mit mediterranem Einschlag – erstaunlicher Klang

5

Otto Klemperer

New Philharmonia  Orchestra London

EMI

1966

39‘09

 

genauer Blick in die Partitur, Klemperer versteht es Spannung aufzubauen und zu lösen, festes Metrum, immer deutliche Bläser, sehr gute Dynamik, gute Balance und Transparenz, II im MT T. 109 ff. Unterschied zwischen p und pp immer beachtet, nicht zu laut, wie so oft – sehr klares Klangbild

5

Guido Cantelli

NBC Symphony Orchestra

EMI

1957

36‘22

 

gewichtiges Musizieren, ernsthaft, kantig, intensiv, mit Leidenschaft in den Ecksätzen, ziemlich feste Tempi, II immer bewegt – Monoklang mit hoher Präsenz und hinreichender Transparenz, jedoch etwas rau bei lauten Tutti-Stellen, keine französische Interpretation

5

Philippe Herreweghe

Orchestre des Champs Elyseés

HMF

2002

38‘05

 

I klangvoller Espressivo-Stil gelingt auch ohne Vibrato, langer und intensiver Spannungsaufbau bis zum Höhepunkt T. 76, entsprechend auch bei späteren Stellen, ziemlich festes Tempo, II lebendige Darstellung, III temperamentvoll – sehr gute Balance und Transparenz, überzeugende Dynamik

   


4-5

Pierre Monteux

Orchestre National Paris

Music & Arts

1958

37‘50

 

live,

4-5

Adrian Boult

London Orchestra Society

Reader’s Digest   EMI

1959

35‘57

 

I die langsamen Abschnitte nicht zäh, eher fließend; in den Allegro -Teilen  zupackend, Boult vermeidet alles Bombastische; bewegt sich nicht von einem Anschnitt zum nächsten, immer das Ganze im Blick, verliert nicht den Zusammenhang aus den Augen, II auf Streicher mit und ohne Dämpfer achtend, III immer schlankes Musizieren – bei vorliegender Platte handelt es sich um die erste Orchester-Aufnahme von Reader’s Digest mit ausgewählten Musikern aus Londoner Orchestern

4-5

Charles Münch

Boston Symphony Orchestra

RCA

1957

36‘29

 

mit spürbarer Vitalität, keinesfalls beschwert, offenes Klangbild, Stimmführungen freigelegt, französische Bläser, Englischhorn beherrscht oft den Holzbläserklang, Trompeten oft etwas zu aufdringlich, auch im 2. Satz lebendige Darstellung – frühes Stereo

4-5

Charles Münch

Rotterdam Philharmonic Orchestra

Concert Hall   Scribendum

1966

36‘32

 

gleicher Ansatz wie in Boston, 1. Satz etwas schneller, Tuttiklang an lauten Stellen nicht optimal aufgefächert, jedoch ausgeglichener als bei RCA, II Harfe tritt etwas hinter die Streicher zurück, Holzbläser gefallen besser, III Streicher ab T. 98 deutlicher

4-5

Kyrill Kondraschin

Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks

BR Klassik

1980

36‘32

 

live, I con anima, Kondraschin zeigt Tempogefühl, II Dialog zwischen Pizzicati und Holz (T. 108 ff. und T. 175 ff.) aufmerksam herausgestellt, III innere Dramatik des Satzes nicht überspielt – vorwiegend helles Klangbild, bei Tutti-Stellen Blech zu weit vorn

4-5

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

CBS    Sony

1961

39‘44

 

I insgesamt spannungsvolle Lento-Abschnitte, Bläser T. 13-16 etwas zu leise, lebendiges Musizieren, kein festes Tempo, II Musik immer in Bewegung, Ormandy mit Empathie am Werk, jedoch auch mit einem leichten Hang zum al fresco bei lauten Tutti-Abschnitten – farbiges und saftiges Klangbild

4-5

Thomas Beecham

London Philharmonic Orchestra

EMI    History

1940

36‘39

 

4-5

Karel Ancerl

Concertgebouw Orchester Amsterdam

RCO

1970

36‘30

 

live, lebendiges Musizieren, aufmerksame Umsetzung der Partitur, überwiegend helles Klangbild, leider wird die Trompete von den Mikros zu sehr bevorzugt, I E bezwingende Deutung des letzten Taktes vor dem Allegro, III Ancerl besitzt das richtige Gespür für die Stimmungen des Satzes, Pizzicati der Celli T. 145-156 zu leise

4-5

Kurt Sanderling

Staatskapelle Dresden

Eterna   DGG  Berlin Classics

P1966

40‘06

 

I gewichtiges aber auch lebendiges Musizieren, bei ruhigen Abschnitten Tempo immer wieder zurückgenommen (z. B. T. 163 ff.), II mäßiges Tempo, III Stimmführungen genau herausgearbeitet – gute Balance und Transparenz, stimmiger Gesamtklang

4-5

Michel Plasson

Orchestre du Capitole de Toulouse

EMI

1985

38‘48

 

I hellwaches Dirigat, Bassklarinette T. 13-16 nicht übergangen, f-Moll-Abschnitt klingt weniger düster als der d-Moll-Abschnitt zuvor, Plasson drosselt leider das Tempo bei leisen Abschnitten, II insgesamt lebendige Darstellung, Harfenspieler(in) lässt die Viertel ausklingen, man hört sie etwas länger als die parallen Pizzicatotöne, gelungener Dialog zwischen Pizzicati und Fg/Klar, III aufmerksam – sehr gute Balance und Transparenz

4-5

Ernest Ansermet

Orchestre de la Suisse Romande

Decca

1961

39‘28

 

gute Darstellung, jedoch ohne die innere Glut der Musik entfacht zu haben – Klang mit viel Körper und Helligkeit

4-5

Eugen Jochum

Concertgebouw Orchester Amsterdam

RCO

1973

40‘13

 

live, Jochum lässt keinen Zweifel an der Wesensverwandtschaft Francks zu Bruckner, dräuende Bässe, auch in den schnelleren Abschnitten immer schwergewichtig und molto espressivo, ohne an Lebendigkeit einzubüßen – I  gewichtige E, II lebendiger MT, III mit viel Leidenschaft musiziert – offenes Klangbild mit guter Transparenz

4-5

Emanuel Krivine

Orchestre National de Lyon

Denon

P 1992

37‘01

 

überwiegend bewegte Tempi; heller, transparenter Klang, der vor allem den Holzbläsern zugute kommt, Krivine nimmt das Blech an die kurze Leine, Blicke in Richtung Bruckner sind ihm unerwünscht

4-5

André Cluytens

Orchestre National de Radiodiffusion Française

Columbia   FabFour

P 1953

36‘49

 

4-5

Lorin Maazel

Cleveland Orchestra

Decca

1976

38‘10

 

   


4

Wilhelm Furtwängler

Wiener Philharmoniker

Decca

1953

39‘23

 

live,

4

Wilhelm Furtwängler

Wiener Philharmoniker

Orfeo   History

1945

38‘56

 

live,

4

Hans Swarowsky

Süddeutsche Philharmonie Stuttgart

Edition Classic

1958 ?

39‘48

 

I Swarowsky lässt uns ins Innere der Partitur blicken, jedoch etwas schwerfällig, Wagner-Sound, II klingt lebendiger als Satz 1, gute Transparenz, heller Klang, III hier wird das non troppo betont – Aufnahme möglicherweise identisch mit Vienne Festival Orchestra beim Label World Record Club

4

André Cluytens

Radio-Sinfonie-Orchester der italienischen Schweiz

Ermitage

1965

37‘13

 

live,

4

Riccardo Chailly

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Decca

1986

43‘14

 

Musik messerscharf nachgezeichnet, I (behutsame) Tempomodifikationen im MT,  ich wünschte mir die Musik etwas lebendiger, III gezügelte Leidenschaft – plastischer Klang, sehr gute Balance und Transparenz

4

Franz André

Belgisches Radio-Sinfonie-Orchester

Telefunken  forgotten records

1953

37‘57

 

solide Einspielung mit guter Transparenz, Holz T. 119/120 und T. 125/126 zu leise, bei lauten Tutti-Stellen zu Streicher-beherrscht, II etwas zu kräftig musiziert, kaum locker, das bessert sich jedoch im Laufe des Satzes, dynamische Unterschiede zu pauschal

4

Kurt Masur

New York Philharmonic Orchestra

Teldec

1992

36‘48

 

live, Musik in Verlaufsform, die große Linie nachzeichnend, zielstrebig nach vorn, keine Extreme, Gegensätze eingeebnet, ausgewogen, Spannung nicht auf höchstem Niveau, zufriedenstellende Tempowahl

4

Carlo Maria Giulini

Berliner Philharmoniker

DGG

1986

44‘47

 

deutliches Musizieren, aber langsam, teilweise zäh, alles wie gewohnt sorgfältig musiziert, deutliche Stimmführungen, schöner abgerundeter Klang, an den Höhepunkten  monumental

   


3-4

Leonard Bernstein

New York Philharmonic Orchestra

CBS  Sony

1959

38‘45

 

I Tempowechselbäder, zupackend, dramatisch, bei leisen Abschnitten Tempodrosselungen, bei der Reprise geht Bernstein in die Vollen, E Diminuendo bei fallender Skala ab T. 36, II 2. Th. T. 48 ff. mit breitem Pinsel und schneller, ebenso Scherzo-Abschnitte, Pk T. 165 ff. fast nicht zu hören, III auch hier wechselnde Tempi, vordergründiger Umgang mit dem Notentext – insgesamt extravertierte Darstellung

3-4

Semyon Bychkov

Orchestre de Paris

Philips

1990

41‘18

 

am Notentext entlang interpretiert, wie nur durchgespielt, II gut: Dialog der Pizzicati der Vc mit Fg und Klar, III Verlangsamung ab T. 197 weit vor dem rallentando – pastoser Klang, Streicher mit breitem Pinsel, etwas schwammig

3-4

Carlo Maria Giulini

Wiener Philharmoniker

Sony

1993

46‘20

 

live, Giulini mit den Wienern in Tempo-30-Zone unterwegs, Klangbild nicht so hervorragend ausbalanciert wie früher, auch ohne die Wärme der DGG-Aufnahme

3-4

Sergiu Celibidache

Schwedisches Radio-Sinfonie-Orchester

DGG

1967

42‘18

 

live, I Lentissimo, die Musik steht still, jedoch ohne die Spannung zu verlieren, Tempowechselbäder, II sehr gezogen, bis T. 60 Lautstärke zurückgesetzt, p = pp, III Beginn in frischem Tempo, ab  2. Th. langsamer, danach noch mehr, Pizzicati der Celli T. 145 ff. kaum wahrzunehmen – breite Dynamik, angenehmer Klang

3-4

Sergiu Celibidache

Münchner Philharmoniker

EMI

1991

48‘01

 

live, zusätzlich reduzierte Tempi in allen Sätzen, der Eindruck des nicht-von-der-Stelle-Kommens bleibt auch hier, II gefrorene Musik

3-4

Herbert von Karajan

Orchestre de Paris

EMI

1969

42‘16

 

I polierte E, dabei Bläser vernachlässigt, streicherbetontes Musizieren, Holz hat insgesamt nicht den ihn vom Komponisten zugewiesenen Stellenwert, insgesamt gezogen, kein festes Tempo, p  bedeutet regelmäßig auch langsam, pompöse Tutti T. 179 ff. auch T. 323 ff., dort Musik viel zu dick aufgetragen, bräsiger Klang, II zu Beginn pp, Harfe muss zurücktreten




3

Leonard Bernstein

Orchestre National de France

DGG

P 1982

42‘14

 

live, noch extremer als beim NYPO, I E Lento molto, auf dem Höhepunkt T. 129 ff., II Dynamik in diesem Satz um 1 Grad herabgestuft – Schwächen im Zusammenspiel, Klang mit mehr Fülle aber weniger Transparenz als bei NY, helles französisches Fagott

3

Zubin Mehta

Berliner Philharmoniker

Telefunken

1995

43‘49

 

live, I sehr gezogen, HT zu langsam, es fehlt ein Kontrast zur E, Tempowechselbäder, Musik klingt irgendwie schwammig, auch im letzten Satz, II langsame Gangart, zäh, geringe Spannung, pauschale Dynamik, III endlich schneller, jedoch ab T. 68 Tempo wieder gedrosselt, Darstellung in Tschaikowsky-Nähe

3

Willem Mengelberg

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Telefunken

1940

34‘44

 

die vielen Tempomodifikationen (zusätzlich zu denen der Partitur) führen zu einer stark subjektiv gefärbten Interpretation, inkl. aufgesetzter Dramatik, zeitbedingte Portamenti, immer wieder viel Espressivo

3

Leopold Stokowski

Hilversum Radio Philharmonic Orchestra

Decca

1970

43‘25

 

I monumental, aufgesetzt, bedeutungsschwanger, Tempowechselbäder, wichtige Bässe T. 65/66 und T. 69/70 vernachlässigt, II T. 135-177 wie Filmmusik – subjektive Sicht auf Francks Sinfonie

3

Claus Peter Flor

Royal Philharmonic Orchestra London

RCA

1988

44‘03

 

I E extrem langsame E, fast Stillstand, gezogener Allegro-HT, zu Beginn der Durchführung schneller, ab T. 284 wieder langsamer, II auch hier immer wieder bremsend, ziemlich spannungslos, III Flor gelingt es nicht Francks Puzzle-Teile überzeugend zusammenzufügen und ein verbindendes Band um den Satz zu schnüren

   

Hinweise zu Interpreten und Interpretationen

Pierre Monteux

Pierre Monteux muss Francks Sinfonie geschätzt haben, denn vor der heute berühmten Platte mit dem Chicago SO nahm er das Werk schon zweimal mit dem San Francisco Symphony Orchestra auf, 1941 und 1950 für die RCA. Sie liegen mir allerdings nicht vor. Die Stärken der Aufnahme aus Chicago sind der lange Atem des Dirigenten, sein immer schlankes und geradliniges Musizieren bei ziemlicher Tempokonstanz. Nirgends sieht man die Gefahr eines Zusammenbrechens des musikalischen Verlaufs. Auch im Mittelsatz bleibt die Musik immer im Fluss, allerdings wird er hier vom Kollegen Paray noch übertroffen. Ein kleines Ritardando ist ab T. 86 erlaubt, auch auf den Höhepunkten des letzten Satzes. Die heute 60jährige Aufnahme verfügt über ein hohes Maß an Balance und Transparenz. Drei Jahre zuvor musizierte er die d-Moll-Sinfonie in Paris mit dem Orchestre National, M&A hat den Mitschnitt auf CD herausgebracht. Einige Störungen deuten auf einen Mitschnitt einer Rundfunk-Übertragung. Monteuxs Herangehen an das Werk gleicht der bei der Aufnahme mit dem CSO, sie besitzt jedoch noch etwas mehr Drive, beim Klang muss man jedoch Abstriche hinnehmen, vor allem bei lauten Tutti-Abschnitten, die doch sehr kompakt klingen. Auch die Balance unter den Gruppen ist nicht zufriedenstellend, da das Holz oft in den Hintergrund gedrängt wird. Monteux versteht sich auch hier auf einen guten Spannungsaufbau mit anschließender Lösung. Etliche Publikumsgeräusche muss der Hörer hinnehmen.

Thomas Beecham

Zwei Studio-Produktionen hat uns Sir Thomas hinterlassen. Die erste wurde 1940 mit dem London Philharmonic Orchestra aufgenommen, die zweite fast 20 Jahre später mit dem Pariser Orchestre National. Beechams Aufnahmen gehören m. E. auf Grund ihres fantasievollen Umgangs mit dem musikalischen Material zu den Spitzen-Interpretationen der Franck-Diskographie. Immer wieder spürt man die Empathie, mit der der Dirigent Francks Musik begegnet. Stilpuristen mögen seine Eigenwilligkeiten bemängeln, z. B. Rubati, Accelerandi bei Anhebung der Lautstärke. Andererseits ist er bemüht, die verschiedenen Stimmführungen freizulegen. Der zweite Satz klingt in Paris wie ein langsamer Marsch im 3/4-Takt. Die Londoner Aufnahme ist auf Grund ihrer Entstehungszeit klanglich beschnitten, da bietet die Stereo-Aufnahme deutlich mehr an Farben. Beecham nimmt sich hier auch etwa zwei Minuten mehr Zeit als früher.

Wilhelm Furtwängler

Francks Sinfonie gehörte sicher nicht zum Standard-Repertoire Furtwänglers, mir ist nicht bekannt, wann und wie oft er sie aufgeführt hat. Immerhin sind zwei Konzertmitschnitte mit den Wiener Philharmonikern erhalten geblieben. Beim ersten handelt es sich um das letzte Konzert mit den Wiener Philharmonikern in Wien, neben der Franck-Sinfonie stand noch Brahms 2. auf dem Programm. Die zweite Aufnahme wurde vom Bayerischen Rundfunk in München aufgenommen. Furtwängler interpretiert das Werk, wie wäre es anders zu erwarten, aus seinem Verständnis romantischer, besonders spätromantischer Sicht. Das äußert sich vor allem im Gebrauch der Tempi, der Agogik, dem Umgang mit der Dynamik, Musikfreunde kennen dies vor allem von seinen Interpretationen der Brucker-Sinfonien. Das klingt oft sehr stimmig, manchmal auch überwältigend. Als Hörer fragt man sich, ob dies die Absicht des Komponisten entsprach. Im Wiener Mitschnitt äußert sich dies z. B. im ersten Satz durch ein langgezogenes Accelerando gekoppelt mit genau kalkuliertem Crescendo ab T. 13 bis zum Höhepunkt, ab T. 41 erneut in neuer Tonart. In München hält sich Furtwängler jedoch mehr an die Partitur. In beiden Interpretation lässt der Dirigent keinen Zweifel am Primat der Streicher, damit sind die Stimmführungen nicht immer klar, wenn die Holzbläser zurückgedrängt werden.

Klanglich ist diese Decca-CD der Orfeo-Veröffentlichung vorzuziehen. Die Musik bleibt nicht im Dunkeln, das Klangbild zeigt immer Präsenz und weist eine wesentlich bessere Transparenz auf. Beim Wiener Mitschnitt klingt der zweite Satz viel leiser als die beiden anderen Sätze, so bleibt der Beginn des Scherzo-Abschnittes undeutlich – ein Aufnahmefehler? Aufhorchen jedoch lassen die ersten beiden Takte des dritten Satzes: Die Streicher-Achtel klingen bei WF wie der Beginn von Wagners „Walküre“, das hört man in München nicht so. Alles in allem ziehe ich jedoch diese Aufnahme der älteren eindeutig vor.

André Cluytens

Zwei Aufnahmen liegen mit dem belgischen Dirigenten vor. Seine Studio-Aufnahme entstand bereits um 1953 für Columbia in Paris. Hier wird überwiegend lebendig und ausdrucksstark musiziert. Das Mono-Klangbild ist etwas flach, jedoch noch überwiegend präsent. In der Dynamik werden die Unterschiede im p-Bereich nicht ganz ausgeschöpft. Im zweiten Satz bleibt die Harfe etwas hinter den gezupften Streichern zurück. Sehr deutlich der Dialog von Bässen mit den Fagotten und Klarinetten (T. 108-111). Wenig gefällt dagegen das Vibrato des Englischhorns, im Finale auch das der Oboe. Meine zweite Aufnahme ist ein Konzertmitschnitt aus Lugano. Das Orchester scheint der Partitur mehr Empathie entgegenzubringen, spielt aber weniger differenziert. Der Dirigent hätte die erste Trompete etwas zurücknehmen müssen, die sich an Tutti-Stellen nach vorn spielt. In Takt 14 auf 4 fügt sie, parallel zu den ersten Geigen, ein hohes c hinzu, das in der Partitur nicht zu sehen ist. Im zweiten Satz ist die Balance Harfe/Streicher besser, dafür muss das Fagott aber zurücktreten. Insgesamt wird hier etwas al fresco musiziert.

Lorin Maazel

In seinen ersten Jahren bei der DGG gelangen dem jungen Maazel einige bemerkenswerte Interpretationen, u. a. auch die von Francks d-Moll-Sinfonie mit dem Radio-Sinfonie-Orchester Berlin. Hier wird durchwegs schlank und gleichzeitig ausdrucksstark musiziert, wobei Francks Pathos (in allen Sätzen) nicht unterdrückt wird. Bei ziemlich festem Tempo lässt Maazel sehr genau, mit artikulatorischer Feinarbeit und auch elastisch musizieren. Im 2. Satz fallen die p zu spielenden Pauken in den Takten 165-180 nicht, wie so oft, unter die Pulte. Maazel versteht sie nicht als Untermalung, sondern deutet sie als dezenten Hinweis auf die Zerbrechlichkeit der hier positiven Stimmung. Die Bläser sind, besonders im 3. Satz, in Tutti-Abschnitten differenziert abgebildet und klingen kaum pompös. Überhaupt ist Maazel auch hier ein Meister unterschwelliger Leidenschaft. Die dynamische Bandbreite wird in dieser Aufnahme ausgeschöpft.

25 Jahre später, Maazel ist inzwischen zu Szells Nachfolger beim Cleveland Orchester avanciert, hat er die Sinfonie noch einmal aufgenommen. Wer seine erste nicht kennt, wird sich vielleicht lobend über sie äußern. Beim näheren Hören werden einem jedoch Abweichungen auffallen, z. B: im 1. Satz die üblichen Verlangsamungen bei leisen Abschnitten. Maazel lässt nun nicht mehr so konzentriert am Detail arbeiten, er lässt lockerer Musizieren, bleibt jedoch weniger intensiv im Ausdruck. Klanglich dagegen bietet die Decca-CD einen Zugewinn.

eingestellt am 20. 11. 21

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