Das Klassik-Prisma |
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Bernd
Stremmel |
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Streichquartett F-Dur
op. 96
„Amerikanisches
Quartett“
Allegro, ma non troppo – Lento – Molto vivace – Vivace, ma non troppo
Ergänzung und
Überarbeitung, einschließlich Neubewertung einzelner Aufnahmen
Dvoraks
bekanntestes Streichquartett F-Dur op. 96 ist bei Quartettspielern
und Musikfreunden gleichermaßen beliebt,
entsprechend groß ist die Anzahl der Aufnahmen.
Ernst Heimeran
schrieb einst in seinem Quartett-Handbuch
Das stillvergnügte Streichquartett „Das Ganze muss von
Temperament und Musikantentum sprühen“, da hat er
recht. Aber das kann noch nicht alles sein, wenn das Werk überzeugend
dargeboten werden will, auch Klangsinn, Geschmack und vor allem rhythmische
Präzision sind ebenso von Nöten. Die Annahme, böhmische/tschechische Quartette
hätten hier die Nase vorn ( „Heimspiel“), trifft nur
sehr bedingt zu, wie mein Vergleich von jetzt mehr als 30 Aufnahmen zeigt. Eine
wichtige Frage konnte ich den jeweiligen Interpreten nicht ersparen: wie haltet
ihr es mit dem Vibrato? Vor allem im 2. Satz, wehmütige Erinnerungen an seine
böhmische Heimat, bei zu viel davon kann es leicht in Kitsch umschlagen.
Hier noch einige Anmerkungen zu den einzelnen
Sätzen:
Im ersten Satz sollte in den Takten 34/35 auf
eine genaue rhythmische Gestaltung geachtet werden, oft wird über diese beiden
Takte undifferenziert hinweg gespielt. Wenig später setzt Dvorak im Takt 43 ein
Ritardando (die Juilliards beginnen damit bereits in
Takt 40), im folgenden Takt soll jedoch zum vorhergehenden Tempo zurückgekehrt
werden. Leider befolgen fast alle Ensembles diese Anweisung nicht und der
Primgeiger „darf“ dann im langsamen Tempo in rhapsodischer Manier schwelgen,
Ausnahme: Koeckert-Quartett.
Der zweite Satz mit seinen ständigen Wechsel
der Lautstärkegrade, oft taktweise, stellt hohe Anforderungen an das
Differenzierungsvermögen der Musiker. Oft hört man hier nur „die große Linie“.
Im dritten Satz wird man in den Takten
149–196 an Mendelssohn erinnert, entsprechend im Finale Takt 25 ff. an den
ersten Satz von Beethovens Pastorale.
Hagen Quartett |
DGG |
1986 |
25‘40 |
5 |
W - äußerste Disziplin und Hingabe, trotzdem
unaufdringlich, sparsamer Umgang mit Vibrato, sehr gute dynamische
Differenzierung |
Philharmonia
Quartett Berlin |
Accord |
1999 |
26‘49 |
5 |
W – gut aufgefächertes Klangbild, erfrischend
wenig Vibrato, sauberes Akkordspiel, III nicht zu schnell, aber deutlich |
|
|||||
Janacek Quartett |
Decca/DGG |
1963 |
25‘00 |
4-5 |
silbrige Streicher, präsentes Cello, II
natürlicher als Guarneri und Juilliard, trotzdem
ausdrucksstark |
Carmina Quartett |
Bayer Records |
1991 |
25‘53 |
4-5 |
W – ein Klangereignis, vollmundig, gute
dynamische Differenzierung |
Keller Quartett |
Teldec |
1994 |
24‘24 |
4-5 |
W – sehr organisches Musizieren, intensiv |
Jerusalem Quartet |
HMF |
2005 |
26‘20 |
4-5 |
W – auf den Spuren des Janacek Quartetts,
spieltechnische Überlegenheit, alles fein aufeinander abgestimmt, duftiges
Klangbild |
Pavel Haas Quartett |
Supraphon |
2010 |
26‘18 |
4-5 |
W – I zupackend, leidenschaftlich, Rubati, etwas rhapsodisch, II mit höchster Konzentration,
sehr gute dynamische Gestaltung, nuancenreich, inspiriert, III Thema könnte
etwas lockerer vorgetragen werden, ausgeglichen, Bratsche wird T. 181 ff.
überdeckt, IV mitreißend |
Cypress
String Quartet |
Avie |
P
2001 |
24‘13 |
4-5 |
W – immer schlanke Tongebung, sparsamer
Umgang mit Vibrato, gute dynamische Differenzierung, I lebendig, eher vornehm
zurückhaltend als dick aufgetragen, II mit viel Spannung, III nicht
überhitzt, IV mit Leichtigkeit vorgetragen – sehr gute Balance und
Transparenz |
Prager Streichquartett |
DGG |
1973 |
26‘27 |
4-5 |
W – gespanntes, dichtes Musizieren, mehr
Sound als früher, III auf virtuos gespielt, hier 1. Violine ein wenig spitz,
etwas hektisch – auf die dynamische Differenzierung hätte man noch ein
Augenmerk werfen können |
Juilliard
Quartett |
Sony |
1967 |
23‘50 |
4-5 |
sehr überlegtes Musizieren, Schwerpunkte
genau gesetzt, II molto espressivo, III etwas metallischer Klang –
Konzertsaalatmosphäre |
Alban Berg Quartett |
EMI |
1989 |
25‘21 |
4-5 |
W – live, Klangbild in Tutti-Stellen etwas
dicht, bei Steigerungen leicht gekratzt (Tribut an die live-Aufnahme) |
Melos Quartett |
HMF |
1995 |
27‘27 |
4-5 |
W – schöne Einspielung, aber böhmischer
Duft weht nicht durch die Noten |
Vogler Quartett |
CPO |
2010 |
25‘52 |
4-5 |
W – I markant akzentuiert, rhythmischer
Schwung, aber auch warmherzig, lyrische Gestaltung, II molto espressivo, Musik immer im Fluss, III gute dynamische
Differenzierung, könnte ein Quäntchen schneller sein, IV letzteres wünschte
man sich auch hier – sehr gute dynamische Gestaltung |
Ungarisches Streichquartett |
M&A |
1952 |
26‘03 |
4-5 |
live – I sich Zeit lassend, zeitbedingte
leichte Portamenti, II molto espressivo, frische Pizzicati im Cello, III Dynamik im p-Bereich nicht top, IV böhmisches Kolorit bestens getroffen –
etwas kompakter Klang, jedoch deutliche Stimmführungen, leise Verkehrsgeräusche
im Hintergrund |
Emerson String Quartet |
DGG |
1984 |
25‘42 |
4-5 |
W – präzise, schlank, III am besten –
insgesamt weniger böhmisch |
|
|||||
Guarneri Quartett |
Philips |
1986 |
25‘37 |
4 |
W ▼ |
Guarneri Quartett |
RCA
newTon |
1972 |
24‘04 |
4 |
▼ |
Hollywood String Quartet |
EMI |
1954 |
23‘13 |
4 |
I ma non troppo,
nicht überhitzt, durchsichtiges Klangbild, einige Kratzer, II intensiv, nicht
sentimental, IVals Kehraus |
Koeckert
Quartett |
DGG |
1950 |
21‘35 |
4 |
mehr in klassischer Manier interpretiert,
das böhmische Kolorit stellt sich von selbst ein, hier wird nicht immer so
locker musiziert wie bei heutigen Ensembles, Klangbild weniger farbig, kaum
Differenzierung zwischen p und pp |
Dragon Quartet |
Channel Classics |
P
2017 |
26‘35 |
4 |
W – I oft viel Bogendruck, dann zu dichter
Klang, T. 15 auf 4 falscher Ton der 1. Violine, bei der Wiederholung
korrigiert, II in kleinen Abschnitten musiziert, noch nicht in großen Bögen,
IV Akzente in den Mittelstimmen T. 219-227 zu schwach – immer kontrollierter
Ablauf, gute dynamische Differenzierung, Ensemble mit Zukunft |
Prager Streichquartett |
Supraphon |
P
1967 |
27‘09 |
4 |
noch nicht so ausgeformt und ausdrucksstark
wie später, dafür etwas musikantischer, natürliches Klangbild |
Leipziger Streichquartett |
MDG |
2013 |
25‘36 |
4 |
W – I Stimmführungen nicht immer
wünschenswert deutlich, an lauten Stellen etwas kompakt, bei geringerer
Balance, Differenzierung im p-Bereich
nicht top, II mit großer Ruhe, 2. Violine meist zurückgesetzt, III wünschte
man sich lockerer, T. 181 ff. kommt
Bratsche nicht richtig durch, IV locker und unbeschwert, gefällt am besten |
Panocha
Quartett |
Supraphon |
1982 |
25‘54 |
4 |
W – ein klein wenig distanziert, Palette
der Klangfarben nicht ausgespielt, II Cello zu viel Vibrato |
Smetana Quartett |
EMI |
1966 |
24‘06 |
4 |
böhmische Musikanten im besten Sinne,
teilweise dichtes Klangbild, einige Kratzer in Violine 1, instrumental
weniger gepflegt als bei heutigen Ensembles |
Vermeer Quartett |
Teldec |
1988 |
24‘47 |
4 |
zeitweise ziemlich orchestral, breiter
Strich, nicht so differenziert; helles, in hohen Lagen näselndes Cello, IV
kein vivace |
|
|||||
Kocian
Quartett |
Denon |
1982/83 |
24‘43 |
3-4 |
I unaufgeregte Art, etwas routiniert,
dynamische Palette kaum ausgeschöpft, II mit langem Atem, Violine führt
meist, III wenig gestaltet, IV Dynamik wie bei I |
Dolezál
Quartett |
Bellaphon |
P
1982 |
23‘24 |
3-4 |
I mehr die große Linie als akribisch
ausformuliert, etwas großzügige dynamische Gestaltung, II 1. Violine und
Cello mit zu viel Vibrato, deswegen rührselig, III T. 32-40 Cello wird
überdeckt, etwas robust, IV kaum einmal pp
- ! informatives Beiheft von Knut Franke! |
Talich
Quartett |
Calliope |
1976 |
24‘20 |
3-4 |
gelassen, Dvorak auf der Spur, insgesamt
belegter Klang, jedoch warm, viel Vibrato bei allen Instrumenten |
The Lindsays |
ASV |
1990-93 |
27‘14 |
3-4 |
W – etwas routiniert, II Cello-Pizzicati etwas dick, plumsend-
an lauten Stellen oft sehr orchestral |
Endellion
String Quartet |
Virgin |
1988 |
26‘06 |
3-4 |
W, live – I mehr Episoden als ein Ganzes, Rubati, T. 44 ff. sehr langsam, II schön gesungen, mit
großem Ton, III Cello T. 181 ff. nicht vorn, IV könnte etwas lebendiger
gespielt sein – eher orchestral vorgetragen als Kammermusik, teilweise zu
Oberstimmen-betont |
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|
|
Amadeus Quartett |
DGG |
1977 |
24‘22 |
3 |
sehr dichtes Klangbild, ziemlich
orchestral, teilweise ruppig, kratzig (Violine 1) – I etwas holzschnittartig,
II sehr emotional, am Rande der Sentimentalität, Violine 1 weinerlich, IV
weniger locker, stellenweise mit Drive, T. 199 Violine 1 zu laut, sie soll
doch nur einen Kommentar zum Cello abgeben |
W –
Wiederholung der Exposition im 1. Satz
Hinweise zu
Interpreten und ihre Interpretationen
Guarneri Quartett
Die
Musiker des amerikanischen Quartetts spielen mit breitem Strich und (viel)
Bogendruck – im Gegensatz zu den Kollegen vom Juilliard
Quartett – und erreichen so einen saftigen Klang, der ganz gut zu Dvoraks Musik
passt und auch mit viel Herzblut, musikantisch, wie in einem Konzertsaal,
gespielt wird. Das trifft sowohl auf die ältere RCA-Aufnahme als auch die
jüngere von Philips zu. Erstere klingt ein wenig eingeengt und trocken, das
ändert sich jedoch 1986, das Klangbild dieser CD ist viel wärmer und auch
ausgeglichener als 1972. Negativ zu Buche schlägt der Umgang mit dynamischen
Werten, die in beiden Aufnahmen eingeebnet werden, ein richtiges pp hört man selten. Die Balance ist
nicht immer optimal: An vielen Stellen tritt Primarius Arnold Steinhardt zu
sehr hervor und bedrängt seinen Kollegen an der zweiten Geige. Auch das Cello
präsentiert sich oft mit großem breitem Klang. Es ist denkbar, dass bei vielen
Musikfreunden diese Einwände nicht zu sehr ins Gewicht fallen und sie für sich
eine höhere Einstufung vornehmen.
eingestellt
am 06. 04. 07
überarbeitet
und ergänzt am 01. 11. 18